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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Vonda N. McIntyre
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stützenden Griff um seine Taille, um ihre Schultermuskeln zu lockern, und mußte stehenbleiben, als Chris im erneuerten Schmerz gebrochener Knochen aufstöhnte. Der gleiche Schmerz regte sich in telepathisch abgeschwächter Übertragung in ihrer Seite und forderte ihre Reserven an Kraft und Standfestigkeit. Chris lehnte gekrümmt an der Wand. Mischa befühlte seine Rippen mit mehr Behutsamkeit und fand die schmerzhafte Stelle.
    »Laß ...«
    »Ist schon gut«, antwortete sie. »Noch ein kleines Stück weiter. Ich werde achtgeben.«
    Er ließ sich weiterführen. Seine abgezehrten Muskeln hatten keine Spannkraft.
    Es dauerte lange, bis sie seine Nische erreichten. Sie lag beinahe im Zentrum selbst, an der ersten der konzentrisch angelegten Passagen außerhalb der zentralen Höhle. In einem überfüllten und von gnadenlosem Wettbewerb beherrschten Gemeinwesen hatte Chris sein Quartier behalten, weil er im Kampf mit dem Messer oder den bloßen Händen seinen Mann stehen konnte. Aber bald mußte irgendein Strolch bemerken, daß er die Fähigkeit, für etwas zu kämpfen, verloren hatte.
    Die Tür war offen. Mischa führte ihren Bruder hinein, sperrte hinter ihnen zu, stieß den Dielenvorhang zurück und machte verdutzt halt. Die Nische war ein Würfel von ungefähr fünf Metern Länge und Breite, herausgehauen aus dem gewachsenen Fels, mit oberflächlich geglätteten Wänden. Die Wand gegenüber dem Eingang war immer von einer stillen, hellen Landschaft beherrscht worden, wo Pflanzen in Fülle gediehen, einer Vision dessen, was sie und Chris immer ersehnt hatten. Nun war die ganze Wand mit schreienden Farben bedeckt. »Du hast es geändert ...«
    Seine Hand rutschte schlaff von ihrer Schulter, als verließe ihn nun, da er in der Geborgenheit seiner vier Wände war, die letzte ihm verbliebene Kraft. Während er sich geborgen zu fühlen schien, fühlte Mischa sich bedroht. Die linke Wand war seit seinem Einzug häufig übermalt worden und Schauplatz von Experimenten gewesen; bei ihren Besuchen hatte Mischa beinahe immer ein neues Bild an dieser Wand vorgefunden, einen neuen Entwurf oder eine Erfindung.
    Diesmal waren die Reste der obersten Farbschicht verschmiert, alles übrige mit einem Stein abgeschlagen. Schuppen abgeblätterter Farbe lagen verstreut im Sand, und wo die Farbe nicht verschmiert oder bis auf den Untergrund abgeschlagen war, war die Wand wie ein Mosaik aus Stücken älterer Farbschichten, die hier und dort beinahe erkennbar wieder hervortraten. Mischa betrachtete sie lange, bis sie den Blick endlich mit ei nem tiefen Atemzug abwandte. Sie versuchte nicht wieder hinzusehen, aber das farbenfrohe Unglück lauerte ständig im Randbereich ihres Gesichtsfeldes.
    Sie stieg über seine wahllos durcheinandergeworfenen, auffallenden Kleidungsstücke, um sein Bett in Ordnung zu bringen. Sie warf die schmutzigen, verknäulten Decken auf den Boden und suchte nach sauberen. Als sie sich zu ihm umwandte, lag Chris gekrümmt auf der Seite, die Augen geschlossen. Sie seufzte, mehr entmutigt als verdrießlich. »Wenn du dich klitsch-naß ins Bett legen willst ...« Sie brach ab. Es war unmöglich, ein Schuldgefühl in ihm wachzurufen.
    Er hatte den Kopf in den Armen vergraben und rührte sich nicht. Sie zog einen Arm weg, aber er kroch wie eine kranke Schlange zurück, um seine Augen zu beschirmen. Dieses Ringen im Zeitlupentempo brachte sie in einen Zustand fruchtloser Verärgerung. Endlich gelang es ihr, sein Hemd zu öffnen und den fadenscheinigen und ausgefransten Stoff von seinem Arm zu ziehen. Danach war es nicht mehr so schwierig, ihm das Hemd ganz auszuziehen.
    Wo seine bläulichweiße Haut sich über den scharf heraustretenden Brustkorb spannte, markierte ein schwarzvioletter, angeschwollener Bluterguß die Stelle, wo ihn der Fußtritt getroffen hatte. Alte Narben an Brust und Unterarmen hoben sich rötlich von der weißen Haut und dem feinen goldenen Flaum darauf ab. Seine Stiefel lösten sich schmatzend von den Füßen. Als es Mischa gelungen war, ihn auszustrecken, konnte sie ihm ohne viel Mühe die Hose herunterziehen. Nackt sah er sehr zerbrechlich aus. Als sie ihm sein Nachthemd überziehen wollte, erschlaffte er vollends, und schließlich, nachdem sie ihn geschüttelt und verwünscht hatte und nahe daran gewesen war, ihm selbst einen Fußtritt in die Seite zu versetzen, gab sie auf und warf ihm eine Decke über.
    Von welcher Art seine Gründe auch gewesen sein mochten, er mußte tagelang im Randbereich zum
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