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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Vonda N. McIntyre
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nach vorn zeigte.
    Hundert Schritte voraus war Krabbe wieder in Sicht gekommen und bewegte sich in einem grotesken, hinkenden Galopp auf sie zu. Er schien in froher Erregung und machte einladende Gebärden, und als die drei stehenblieben, um zu beratschlagen, ergriff er Vals Hand und zog sie mit sich. Hikaru und Simon schlossen sich ihnen an.
    Er führte sie den Stollen entlang und in eine Abzweigung, die Hikaru aus freien Stücken nicht betreten haben würde, eng, dunkel und geschwängert von stinkendem Modergeruch. Minuten später traten sie durch dicke Vorhänge in eine luxuriös eingerichtete, geräumige Höhle, wie man sie hier zu allerletzt vermutet haben würde. Mischa stand zwischen einem fetten, halbnaccten jungen Mädchen, das auf einer Art Strohsack saß und zu lallenden Lauten ziellose, unkoordinierte Handbewegungen machte, und einem mißvergnügten älteren Mann mit offenbar verkrüppelten Beinen, der halb aufgerichtet auf einem Ruhebett lag, umhüllt mit einem Morgenmantel aus feiner, bestickter Seide. Es bedurfte keiner sonderlichen Anstrengung von Hikarus Zuordnungsvermögen, um in den beiden Gestalten Gemmi und Mischas Onkel zu erkennen.
    Als Mischa die drei eintreten sah, ging sie auf Val zu, nahm ihr ohne Umschweife die Laserlanze aus der Hand und richtete sie auf eine Kette, die das Fußgelenk des schwachsinnigen Mädchens mit einem in die Wand eingelassenen Eisenring verband. Sie hätte es vorgezogen, Gemmi vollständig zu befreien, aber das mußte warten. Der gleißende Lichtstrahl biß in das Metall und versprühte Funkenschauer. Mischa setzte die Waffe ab, warf Gemmi eine Decke über, beschirmte ihre eigenen Augen mit der freien Hand und feuerte wieder. Die Kette fiel rasselnd zu Boden.
    Der Onkel versuchte sich vom Lager zu erheben, aber seine Beine ließen ihn im Stich. »Du kannst mich nicht einfach verlassen!«
    Mischa ignorierte den Ausruf und gab Val die Waffe zurück. Seine Stimme hob sich in Panik. »Wie soll ich leben? Willst du mich verhungern lassen?«
    Mischa blickte zurück, und ihr Mitleid löste sich in Bitterkeit auf. »Geh betteln!« sagte sie.
     
    Mischa und Val hatten Gemmi in die Mitte genommen, um ihr das Vorankommen zu erleichtern, aber es zeigte sich, daß die Bewegungen des Mädchens ein unkontrolliertes, allein von Reflexen gesteuertes Zappeln waren.
    »Sie hat nie gehen gelernt«, sagte Mischa entschuldigend. »Sie konnte es nie.«
    Simon bückte sich und hob das nachschleifende Ende der Kette auf.
    »Ich werde das Schloß aufbringen«, sagte Mischa. »Ich brauche bloß ein wenig Zeit.«
    »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Jan.
    »Wir werden sie befreien.« Gemmi war ein von mangelnder Bewegung verfettetes, körperlich gesundes Kind, größer und schwerer als Mischa, aber Simon hob sie mit Leichtigkeit auf. »Sie ist eine von uns.«
     
    Die Stadt lag in tiefem Schlaf, als der zusammengewürfelte Haufen in der Nachtstille über den Kreis zog. Die wenigen Menschen, welche die müde sich dahinschleppende Prozession sahen – und erkannten, was sie sahen –, machten sich rasch in Seitengassen davon oder verschwanden in den Schatten von Wohnungen und Höhleneingängen. Je weiter der Zug kam, desto verlassener lagen Wege und Straßen vor ihnen, leergefegt von der vorauseilenden Kunde.
    Die Leute aus dem Untergrund gingen eng zusammengedrängt, nervös die erbeuteten Waffen befingernd, erfüllt von Furcht und Staunen vor dem, was sie nie gesehen hatten. Krabbe hielt Mischas Hand und beobachtete aus dieser Sicherheit heraus mit aufgeregtem Interesse alles, was sie im Vorübergehen sahen. Hikaru schleppte sich mechanisch dahin, und Val ging mit Simon, angespannte Nervosität in jeder Bewegung, aber mit zunehmendem Stolz und Selbstvertrauen. Gelegentlich machte sie eine leise Bemerkung, die Mischa nicht verstehen konnte, und einmal antwortete Simon. Subzwei führte den Zug an, noch immer nackt, denn er weigerte sich, die schmutzigen und unpassenden Kleidungsstücke anzulegen, die seine Leute erübrigen konnten. – Warum Val und ihr Anhang sich zum Betreten der Stadt entschlossen hatten, war noch ein Geheimnis. Sie waren neugierig, aber Mischa spürte, daß ihrem Handeln ein Ziel zugrunde lag, ein Ziel, dessen Erlangung ihnen soviel bedeutete, daß sie ihre Furcht überwanden.
    Subzwei hielt vor der geschlossenen Tür des neuen Palasteingangs. Es war das erste Mal, daß Mischa sie geschlossen sah, und sie dachte sich, daß jemand im Palast von ihrem Kommen benachrichtigt
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