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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Dirk van Den Boom
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Richomer, als wäre etwas Farbe in seine Wangen zurückgekehrt.
»Valens hat die Reiterei verfeuert, Victor«, murmelte Richomer nun dumpf. »Er hat uns ins Messer laufen lassen.«
»Er und Sebastianus«, stimmte Victor zu. »Letztendlich aber war es die Voreiligkeit der zuständigen Offiziere selbst, die sich nicht haben zurückhalten können. Sebastianus hat sie mit seiner Zuversicht dermaßen aufgepeitscht … und alle waren durstig.«
Richomer nickte. Die Armee war ohne Nahrung und Wasser in Stellung gegangen und die Warterei hatte sicher an den Nerven aller gezerrt. Der Durst hatte das Seine getan.
»Sie haben beide nicht erkannt, wie wichtig die Kavallerie ist. Und sie waren zu selbstsicher. Fritigern mag ja ein Barbar sein, aber er ist kein Idiot. Bis zuletzt habe ich auf den Kaiser eingeredet. Und dann die barbarischen Lanzenreiter … sie haben Hackfleisch aus den Bodentruppen gemacht. Wir werden umdenken müssen.«
Richomer legte dem Freund beschwichtigend eine Hand auf den Brustkorb. Er winkte einen besorgt dreinblickenden Diener fort. Victor hatte das Glück gehabt, dass er in Adrianopel seine eigene Villa hatte, und sie war sogleich für alle Verletzten geöffnet worden, die die Sicherheit der Stadtmauern erreicht hatten. Nur diese einzelne Zimmerflucht erlaubte noch so etwas wie Privatheit, ansonsten hatte sich das ganze Anwesen in ein Lazarett verwandelt.
Ein Versuch der Goten, die Stadt einzunehmen, war an zwei Ursachen gescheitert: an ihrer Unfähigkeit, eine gut befestigte Stadt zu belagern und die Mauern effektiv anzugreifen, sowie an der Kampfbereitschaft der römischen Bürgermiliz, die den Goten trotzigen Widerstand geleistet hatte. Letztlich waren die Goten abgezogen.
»Reg dich nicht mehr auf. Wir haben seit der Schlacht nichts mehr von Valens und Sebastianus gehört und auch ihre Leichen sind nirgends gefunden worden. Wäre zumindest Valens noch irgendwo am Leben, selbst als Geisel der Goten, hätten wir davon mittlerweile erfahren. Er ist tot, Sebastianus höchstwahrscheinlich ebenso, und Gratian ist unser Herr.«
Victor nickte. »Ein klügerer Herr, so will ich hoffen.«
»Er ist jung, aber kein Narr. Und er wird den Osten nicht sich selbst überlassen. Er ist bei Sirmium und hält Kriegsrat. Ich soll dorthin reiten und ihn treffen. Du sollst hinzustoßen, sobald du reiten kannst.«
»Was hat er vor?«
»Könnte ich die Gedanken der Kaiser lesen, wäre ich ein reicher und mächtiger Mann, Victor. Ich denke mal, dass er einen neuen Feldherrn für den Osten ernennt, der, wenn er sich bewährt, auch gute Chancen haben dürfte, zum Augustus ernannt zu werden. Ich glaube nicht, dass der junge Gratian großes Interesse daran hat, das Reich in seiner Gänze allzu lange auf seinen Schultern zu tragen. Der Westen ist ihm schwer genug.«
»Wohl wahr.«
»Wir werden uns für ihn bereithalten müssen. Zuerst müssen wir wissen, wie viele Soldaten überlebt haben.«
»Wie viele haben sich zurückgemeldet?«
Richomer holte ein Papier hervor. »Ich habe noch keine genauen Zahlen. Zum Glück hatten die meisten die gute Idee, sich in die Sicherheit der Stadt zurückzuziehen. Ich denke mal, dass die einen oder anderen vielleicht noch in den Dörfern sitzen.«
»Oder desertiert sind«, ergänzte Victor mit etwas Bitterkeit in der Stimme.
»Oder das, ja, leider. Unsere Schätzungen gehen davon aus, dass ein knappes Drittel der Armee überlebt hat. Wir rechnen derzeit mit 22 000 Toten.«
Victor wirkte noch fahler, als er ohnehin aussah. Valens hatte 30 000 Mann ins Feld geführt.
»Das ist der größte Verlust seit … seit Cannae?«
»Seit Varus gegen die Germanen verlor.«
»Das ist mehr als 350 Jahre her! Und er verlor nur 20 000! Welch große Ehre für uns! Das zweitgrößte Gemetzel in der römischen Geschichte, und wir durften dabei sein!«
Richomer reagierte nicht auf die Bitterkeit in Victors Worten. Er konnte dieses Gefühl sehr gut nachvollziehen.
»Das Problem ist jedoch die Struktur der Überlebenden«, berichtete er weiter.
»Erkläre mir das!«
Richomer setzte sich zurecht. »Die meisten Überlebenden sind Offiziere und Unteroffiziere.«
»Ah, verdammt«, stieß Victor hervor. »Wir haben eine Armee mit Kopf, aber ohne Unterleib.«
»So ist es.«
Victor schloss die Augen und überlegte einen Moment.
»Wir pressen das Reich seit Jahren um Rekruten aus«, murmelte er düster. »Lange vorbei sind die Zeiten, wo ein junger Mann den Weg in die Streitkräfte gefunden hat, um das Bürgerrecht zu erlangen
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