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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Dirk van Den Boom
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Reife kommen lassen, als Ausbilder, einen Posten, den er bis vor einem halben Jahr innegehabt hatte. Ein gehasster und geliebter Posten, gehasst wegen dessen Eintönigkeit und der schlechten Entlohnung, geliebt, weil er gerne lehrte und Bildung für ihn wichtig war. Jeden Abend las er noch Texte in Latein: Cicero, Sallust, Ambrosius. Latein hatte er eigentlich lieber …
Das Eigentliche lag nun vor ihm. In vier Stunden musste er sich auf dem Kleinen Kreuzer Saarbrücken, einem der ältesten Schiffe der kaiserlichen Flotte melden, vordem im Weißen Schloss vorbeigehen und im Auftrage seines Kommandanten die schriftlichen Befehle abholen. Es ging zur Westafrika-Station, und die Vorfreude in Rheinberg überwog die Frustration, die ihm der vergangene Tag sowie der schweigsame, erbitterte Morgen im Haus seiner Schwester gebracht hatten.
Er hätte nicht laut werden sollen. Karls billige, schädigende Propaganda, die er zwar in der Kneipe und seinem Haus, doch wohlweislich nicht auf der Werft verbreitete, hätte an ihm abperlen sollen wie Gischt am Ölzeug. Jedoch die Wut, der jähe Zorn, der in ihm aufstieg, wenn er auf Dummheit stieß, war nur schwer beherrschbar. Karl und er verstanden einander nicht, ihre Welten waren völlig verschieden, lediglich zusammengehalten durch die Brücke seiner Schwester.
Sie waren beide unnachgiebig gewesen, dickköpfig, ungnädig, mehr von sich selbst überzeugt als von dem, was sie von sich gaben. Es hatte in Streit enden müssen. Es endete immer so.
Es nieselte. Jan zog den Kragen seiner Uniformjacke hoch. Allein die Existenz dieser Uniform in seinem Haus sei ihm eine Beleidigung, hatte Karl heute Morgen noch betont. Daraufhin hatte Rheinberg beschlossen, nicht bis zum Mittag zu warten, sondern gleich zu gehen. Das Offizierscasino war ohne Zweifel ein gastlicherer Ort. Abgesehen davon gab es auf der erst vor fünf Monaten nach allerlei Wartungsarbeiten wieder in Dienst gestellten Saarbrücken mehr als genug zu tun, bevor es auf die große Reise ging.
Allein der Gedanke daran besserte Jans Stimmung merklich auf. Er verzichtete sogar auf die Straßenbahn und ging die Strecke zu Fuß. Er musste nach den wenig erquicklichen Erlebnissen wieder einen klaren Kopf bekommen. Nichts half dabei besser als ein sonntäglicher Spaziergang. Er fühlte mit der rechten Hand das knisternde Papier in seiner Uniformtasche – der Brief von seinem Vater, drei Tage vor dessen Tode abgeschickt, in dem er dem Sohn förmlich und ohne Schnörkel mitteilte, dass er die Kunde von der Beförderung und Ernennung zum Ersten Offizier mit Stolz und Anerkennung vernommen habe. Dann drückte er seine Hoffnung aus, Jan werde dem Kaiser auch weiterhin getreulich dienen und damit die ehrenvolle Tradition seiner Vorväter fortsetzen.
Jans Antwort hatte ihn nicht mehr erreicht.
Er verscheuchte die grüblerischen Gedanken. Den unerwarteten Tod seines Vaters konnte er nicht ungeschehen machen. Ebenso wenig die ärgerliche Existenz des Karl Jansen, und sei es nur seiner Mutter und schließlich seiner Schwester zuliebe, die diesen Mann offenbar tatsächlich liebte. Korvettenkapitän Rheinbergs Opfer waren groß, denn seine Vorgesetzten hatten über die unschickliche Verbindung seiner Schwester an höchste Stellen berichtet; zweimal war er deswegen bei der Beförderung zurückgesetzt worden. Letztlich hatten aber sein Diensteifer und seine unerschütterliche Pflichterfüllung das Ihre getan, und so war er endlich an führender Stellung auf einem großen Schiff der Flotte stationiert worden.
Jan dachte daran und ertappte sich dabei, wie er fröhlich zu summen begann. Als er den Adalbertplatz erreicht hatte, mit den exakten Baumreihen und dem schimmernden Bau der Marinestation an seinem Ende, der gemeinhin nur das »Weiße Schloss« genannt wurde, hatte er fast schon wieder gute Laune. Er prüfte den Sitz seiner Uniform, bevor er die Wachposten passierte. Nach kurzer Meldung und dem Vorbringen seines Anliegens fand er sich im Warteraum wieder. Er musste lange warten, aber das tat ihm nichts. Der Raum war schlicht, dafür der Sessel bequem, und ein Bursche brachte ihm auf Geheiß Kaffee und Gebäck. Normalerweise wurde dies alles nicht so formell gehandhabt, jedoch war es die letzte große Fahrt der Saarbrücken. Danach würde sie ihr Dasein als Wohnschiff fristen. Immer wieder hatten Offiziere und Marine-Ingenieure anderer Einheiten gerade irgendetwas Wichtiges im Ausrüstungshafen zu tun, um einen letzten Blick auf das elegante,
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