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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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geschlafen habe?‹ dachte er. Er ging ins Bad und duschte lange.
    Wirklich pfiff der Teekessel, als er zurückkam. »Ich bin von der Dusche wach geworden!« sagte das Mädchen. Es war Bloch, als ob sie zum ersten Mal direkt zu ihm redete. Er sei noch nicht ganz bei sich, antwortete er. Ob Ameisen in der Teekanne seien? »Ameisen?« Als das kochende Wasser aus dem Kessel die Teeblätter auf dem Boden der Kanne traf, sah er statt der Teeblätter Ameisen, auf die er einmal siedendes Wasser geschüttet hatte. Er zog den Vorhang wieder auf.
    Der Tee in der offenen Dose erschien, da das Licht nur durch die kleine runde Deckelöffnung kam, seltsam beleuchtet von dem Widerschein der Innenwände. Bloch, der mit der Dose am Tisch saß, schaute starr in die Öffnung hinein. Daß er von dem eigenartigen Leuchten der Teeblätter so angezogen war, belustigte ihn, während er nebenher mit dem Mädchen redete. Schließlich drückte er den Deckel auf die Öffnung, hörte aber gleichzeitig zu sprechen auf. Dem Mädchen war nichts aufgefallen. »Ich heiße Gerda!« sagte sie. Bloch hatte es gar nicht wissen wollen. Ob ihr nichts aufgefallen sei? fragte er, aber sie hatte schon eine Platte aufgelegt, ein italienisches Lied, das mit Elektrogitarren instrumentiert war. »Ich mag seine Stimme!« sagte sie. Bloch, der mit italienischen Schlagern nichts anfangen konnte, schwieg.
    Als sie kurz wegging, um etwas zum Frühstück zu holen – »es ist Montag!« sagte sie –, war es Bloch endlich möglich, alles ruhig anzuschauen. Beim Essen sprachen sie viel. Nach einiger Zeit merkte Bloch, daß sie von Dingen, von denen erihr gerade erst erzählt hatte, schon wie von ihren eigenen Dingen redete, während er dagegen, wenn er etwas erwähnte, von dem sie gerade gesprochen hatte, sie entweder immer nur vorsichtig zitierte oder aber, sobald er mit eigenen Worten davon sprach, jedesmal ein befremdendes und distanzierendes ›Dieser‹ oder ›Diese‹ davorsetzte, als fürchte er, ihre Angelegenheiten zu den seinen zu machen. Sprach er von dem Polier oder etwa von einem Fußballer namens Stumm, so konnte sie kurz darauf schon einfach ganz vertraut ›Der Polier‹ und ›Stumm‹ sagen; er dagegen sagte, wenn sie einen Bekannten namens Freddy und ein Lokal mit der Bezeichnung ›Stephanskeller‹ erwähnt hatte, in der Antwort darauf jedesmal: ›dieser Freddy?‹ und: ›dieser Stephanskeller?‹. Alles, was sie vorbrachte, hielt ihn davon ab, darauf einzugehen, und es störte ihn, daß sie das, was er sprach, so ungeniert, wie es ihm vorkam, verwendete.
    Einige Male freilich, zwischendurch, wurde ihm kurz das Gespräch so selbstverständlich wie ihr: er fragte sie, und sie antwortete; sie fragte, und er gab eine selbstverständliche Antwort. »Ist das eine Düsenmaschine?« – »Nein, das ist eine Propellermaschine«   – »Wo wohnst du?« – »Im zweiten Bezirk.« Beinahe hätte er ihr sogar von der Schlägerei erzählt.
    Aber dann störte ihn alles immer mehr. Er wollte ihr antworten, brach aber ab, weil er das, was er vorhatte zu sagen, als bekannt annahm. Sie wurde unruhig, ging im Zimmer hin und her; sie suchte sich Tätigkeiten aus, lächelte ab und zu blöde. Einige Zeit verging mit dem Umdrehen und Wechseln von Platten. Sie stand auf und legte sich aufs Bett; er setzte sich dazu. Ob er heute zur Arbeit gehe? fragte sie.
    Plötzlich würgte er sie. Er hatte gleich so fest zugedrückt, daß sie gar nicht dazugekommen war, es noch als Spaß aufzufassen. Draußen im Flur hörte Bloch Stimmen. Er hatte Todesangst. Er bemerkte, daß ihr eine Flüssigkeit aus der Nase rann. Sie brummte. Schließlich hörte er ein Geräusch wie ein Knacken. Es kam ihm vor, wie wenn ein Stein auf einem holprigen Feldweg plötzlich unten gegen das Auto schlägt. Speichel war auf den Linoleumboden getropft.
    Die Beklemmung war so stark, daß er sofort müde wurde. Er legte sich auf den Boden, unfähig, einzuschlafen und unfähig, den Kopf zu heben. Er hörte, wie jemand von außen mit einem Tuch gegen den Türknauf schlug. Er horchte. Es war nichts zu hören gewesen. Also mußte er doch eingeschlafen sein.
    Er brauchte nicht lange, um wach zu werden;schon mit dem ersten Augenblick des Aufwachens kam er sich an allen Stellen offen vor; wie wenn in dem Zimmer Luftzug wäre, dachte er. Dabei hatte er sich nicht einmal die Haut abgeschürft. Trotzdem bildete er sich ein, aus seinem ganzen Körper dringe eine Lymphflüssigkeit hervor. Er war aufgestanden und hatte
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