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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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kein Heft, bevor er es ganz durchgeblättert hatte, zur Seite legen konnte, versuchte, zwischendurch ein wenig auf die Straße zu schauen; der Gegensatz zwischen dem Illustriertenblatt und den wechselnden Bildern draußen erleichterte ihn. Beim Hinausgehen legte er selber die Illustrierte auf den Tisch zurück.
    Die Stände auf dem Naschmarkt waren schongeschlossen. Bloch schob eine Zeitlang weggeworfenes Gemüse und Obst, das ihm vor die Füße kam, beiläufig vor sich hin. Irgendwo zwischen den Ständen verrichtete er die Notdurft. Dabei sah er, daß überall die Wände der Holzbaracken schwarz von Urin waren.
    Die Weintraubenhülsen, die er am Tag zuvor ausgespuckt hatte, lagen immer noch auf dem Gehsteig. Als Bloch den Geldschein auf den Kassierteller legte, verfing der Schein sich beim Drehen; Bloch hatte Anlaß, etwas zu sagen. Die Kassiererin antwortete. Er sagte wieder etwas. Weil das ungewöhnlich war, schaute die Kassiererin ihn an. Daraus ergab sich für ihn ein Anlaß weiterzureden. Wieder im Kino, erinnerte sich Bloch an das Romanheft und den Elektrokocher neben der Kassiererin; er lehnte sich zurück und fing an, auf der Leinwand Einzelheiten zu unterscheiden.
    Am späten Nachmittag fuhr er mit der Straßenbahn hinaus ins Stadion. Er nahm einen Stehplatz, setzte sich dann aber auf die Zeitungen, die er noch immer nicht weggeworfen hatte; daß ihm die Zuschauer vorne die Sicht verstellten, störte ihn nicht. Im Lauf des Spiels setzten sich die meisten. Bloch wurde nicht erkannt. Er ließ die Zeitungen liegen, stellte eine Bierflasche darauf und ging vor dem Schlußpfiff, um nicht ins Gedränge zu geraten, aus dem Stadion. Die große Anzahl der wartenden, fast leeren Busse und Straßenbahnen vor dem Stadion – es handelte sich um ein Schlagerspiel – befremdete ihn. Er setzte sich in eine Straßenbahn. Er saß so lange fast allein darin, bis er zu warten anfing. Ob der Schiedsrichter nachspielen ließ? Als Bloch aufschaute, sah er, daß die Sonne unterging. Ohne daß er damit etwas ausdrücken wollte, senkte er den Kopf.
    Draußen wurde es plötzlich windig. Fast zugleich mit dem Schlußpfiff, der aus drei langgezogenen Einzelpfiffen bestand, stiegen Fahrer und Schaffner in die Busse und Straßenbahnen, und die Leute kamen aus dem Stadion gelaufen. Bloch bildete sich ein, die Geräusche zu hören, mit denen die Bierflaschen aufs Spielfeld fielen; zugleich hörte er Staub gegen die Scheiben schlagen. Hatte er sich im Kino zurückgelehnt, so lehnte er sich jetzt, als die Zuschauer in den Straßenbahnwagen eindrangen, vor. Zum Glück hatte er ein Programmheft zu dem Film bei sich. Es kam ihm vor, als hätte man im Stadion gerade die Flutlichtanlage eingeschaltet. Ein unsinniger Gedanke, sagte Bloch. Er war ein schlechter Flutlichttormann gewesen.
    In der Innenstadt versuchte er einige Zeit, eine Telefonzelle zu finden; als er eine leere Zelle fand,lag dort der Hörer abgerissen auf dem Boden. Er ging weiter, schließlich konnte er vom Westbahnhof aus anrufen. Weil Samstag war, erreichte er kaum jemanden. Als sich endlich eine Frau, die er von früher kannte, meldete, mußte er einige Zeit reden, bis sie wußte, wer er war. Sie verabredeten sich in einer Gaststätte in der Nähe des Westbahnhofs, wo sich, wie Bloch wußte, eine Musicbox befand. Er vertrieb sich die Zeit, bis die Frau kam, indem er Münzen in den Automaten warf und andere Leute für sich drücken ließ; unterdessen schaute er die Fotos und Unterschriften der Fußballspieler an den Wänden an; das Lokal hatte vor einigen Jahren ein Stürmer der Nationalelf gepachtet, der dann als Trainer einer der wilden amerikanischen Ligamannschaften nach Übersee gegangen und jetzt, nach der Auflösung der Liga, dort verschollen war. Bloch kam mit einem Mädchen ins Gespräch, das von dem Tisch neben dem Automaten aus blind hinter sich griff und immer dieselbe Platte wählte. Sie verließ mit ihm das Lokal. Er versuchte, mit ihr in den nächstbesten Hauseingang zu gehen, aber die Haustore waren überall schon abgesperrt. Als ein Tor sich öffnen ließ, erwies sich, daß, dem Gesang nach zu urteilen, hinter einer zweiten Tür gerade ein Gottesdienst stattfand. Sie traten in einen Lift, der sichzwischen der ersten und der zweiten Tür befand; Bloch drückte auf den Knopf für das oberste Stockwerk. Noch bevor der Lift anfuhr, wollte das Mädchen wieder aussteigen. Bloch drückte nun auf den Knopf für das erste Stockwerk; sie stiegen dort aus und blieben im
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