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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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Geräusch, wie wenn ein Stück Fleisch auf den Steinboden fiel; er schaute auf und sah, daß der nasse schwere Ball einem Spieler vom Kopf geprallt war.
    Er stand auf und ging weg. Als er zurückkam, hatte das Hauptspiel schon angefangen. Die Bänke waren besetzt, und er ging das Spielfeld entlang hinter das Tor. Er wollte nicht zu dicht dahinter stehenbleiben und stieg die Böschung zur Straße hinauf. Er ging die Straße entlang bis zur Eckfahne. Es kam ihm vor, als reiße ein Knopf von seinem Rock und springe auf die Straße. Er hob den Knopf auf und steckte ihn ein.
    Er unterhielt sich mit jemandem, der neben ihm stand. Er erkundigte sich, welche Mannschaften da spielten, und fragte nach dem Tabellenplatz. Bei diesem Gegenwind sollten sie nicht so hohe Bälle spielen, sagte er.
    Er bemerkte, daß der Mann neben ihm Schnallen an den Schuhen hatte. »Ich kenne mich auch nicht aus«, antwortete der Mann. »Ich bin Vertreter und halte mich nur für ein paar Tage in der Gegend auf.«
    »Die Spieler schreien viel zuviel«, sagte Bloch. »Ein gutes Spiel geht ganz still vor sich.«
    »Es gibt ja keinen Trainer, der ihnen vom Feldrand aus zuruft, was sie zu tun haben«, antwortete der Vertreter. Bloch kam es vor, als redeten sie miteinander für einen dritten.
    »Auf dieser kleinen Spielfläche muß man sich beim Abspielen ganz schnell entscheiden«, sagte er.
    Er hörte ein Klatschen, als ob der Ball an den Torpfosten prallte. Bloch erzählte, er habe einmal gegen eine Mannschaft gespielt, in der alle Spielerbloßfüßig gewesen seien; jedesmal, wenn sie den Ball getroffen hätten, sei ihm das Klatschen durch und durch gegangen.
    »Im Stadion habe ich einmal gesehen, wie ein Spieler sich das Bein gebrochen hat«, sagte der Vertreter. »Man hat das Krachen bis zu den letzten Stehplätzen hinauf gehört.«
    Neben sich sah Bloch andere Zuschauer miteinander reden. Er beobachtete nicht den, der gerade sprach, sondern jeweils den, der zuhörte. Er fragte den Vertreter, ob er schon einmal versucht habe, bei einem Angriff von Anfang an nicht die Stürmer zu beobachten, sondern den Tormann, auf dessen Tor die Stürmer mit dem Ball zuliefen.
    »Es ist sehr schwierig, von den Stürmern und dem Ball wegzuschauen und dem Tormann zuzuschauen«, sagte Bloch. »Man muß sich vom Ball losreißen, es ist etwas ganz und gar Unnatürliches.« Man sehe statt des Balls den Tormann, wie er, die Hände auf den Schenkeln, vorlaufe, zurücklaufe, sich nach links und rechts vorbeuge und die Verteidiger anschreie. »Üblicherweise bemerkt man ihn ja erst, wenn der Ball schon aufs Tor geschossen wird.«
    Sie gingen miteinander die Seitenlinie entlang. Bloch hörte ein Keuchen, als ob der Linienrichter an ihnen vorbeiliefe. »Es ist ein komischer Anblick,den Tormann so ohne Ball, aber in Erwartung des Balles, hin und her rennen zu sehen«, sagte er.
    Er könne nicht lange hinschauen, antwortete der Vertreter, unwillkürlich schaue er doch gleich auf die Stürmer zurück. Wenn man auf den Tormann schaue, komme es einem vor, als ob man schielen müsse. Es sei, wie wenn man jemanden auf eine Tür zugehen sehe und dabei statt auf den Mann auf die Türklinke schaue. Der Kopf tue einem weh, und man könne nicht mehr richtig atmen.
    »Man gewöhnt sich daran«, sagte Bloch, »aber es ist lächerlich.«
    Ein Elfmeter wurde gegeben. Alle Zuschauer liefen hinter das Tor.
    »Der Tormann überlegt, in welche Ecke der andere schießen wird«, sagte Bloch. »Wenn er den Schützen kennt, weiß er, welche Ecke er sich in der Regel aussucht. Möglicherweise rechnet aber auch der Elfmeterschütze damit, daß der Tormann sich das überlegt. Also überlegt sich der Tormann weiter, daß der Ball heute einmal in die andere Ecke kommt. Wie aber, wenn der Schütze noch immer mit dem Tormann mitdenkt und nun doch in die übliche Ecke schießen will? Und so weiter, und so weiter.«
    Bloch sah, wie nach und nach alle Spieler ausdem Strafraum gingen. Der Elfmeterschütze legte sich den Ball zurecht. Dann ging auch er rückwärts aus dem Strafraum heraus.
    »Wenn der Schütze anläuft, deutet unwillkürlich der Tormann, kurz bevor der Ball abgeschossen wird, schon mit dem Körper die Richtung an, in die er sich werfen wird, und der Schütze kann ruhig in die andere Richtung schießen«, sagte Bloch. »Ebensogut könnte der Tormann versuchen, mit einem Strohhalm eine Tür aufzusperren.«
    Der Schütze lief plötzlich an. Der Tormann, der einen grellgelben Pullover anhatte,
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