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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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haben, es zu sagen«, antwortete die Pächterin. Bloch lachte. Die Pächterin fragte, warum er sie auslache.
    Drinnen im Schlafzimmer rief das Kind. Sie ging hinein und beruhigte es. Als sie zurückkam, war Bloch aufgestanden. Sie blieb vor ihm stehen und schaute ihn einige Zeit an. Dann sprach sie aber von sich selber. Weil sie so dicht vor ihm stand, konnte er nicht antworten und trat einen Schritt zurück. Sie kam nicht nach, stockte jedoch. Bloch wollte sie anfassen. Als er endlich die Hand bewegte, schaute sie zur Seite. Bloch ließ die Hand fallen und tat, als hätte er einen Witz gemacht. Die Pächterin setzte sich an die andere Seite des Tisches und redete weiter.
    Er wollte etwas sagen, aber dann fiel ihm nicht ein, was er sagen wollte. Er versuchte, sich zu erinnern: er erinnerte sich nicht, worum es ging, aber es hatte etwas mit Ekel zu tun. Dann erinnerte ihn eine Handbewegung der Pächterin an etwas anderes. Wieder fiel ihm nicht ein, was es war, aber es hatte etwas mit Scham zu tun. Was er wahrnahm, Bewegungen und Gegenstände, erinnerte ihn nicht an andere Bewegungen und Gegenstände, sondern an Empfindungen und Gefühle; und an die Gefühle erinnerte er sich nicht, wie an etwas Vergangenes, sondern er erlebte sie wieder, wie etwas Gegenwärtiges: er erinnerte sich nicht an Scham und Ekel, sondern schämte und ekelte sich jetzt, als er sich erinnerte, ohne daß ihm die Gegenstände von Scham und Ekel einfielen. Ekel und Scham, beides zusammen war so stark, daß ihn der ganze Körper zu jucken anfing.
    Draußen schlug ein Metall gegen die Fensterscheibe. Auf seine Frage antwortete die Pächterin, es handle sich um den Draht des Blitzableiters, der locker sei. Bloch, der schon an der Schule einen Blitzableiter beobachtet hatte, faßte diese Wiederholung sofort als Absicht auf; es konnte kein Zufall sein, daß er zweimal hintereinander auf einen Blitzableiter traf. Überhaupt kam alles ihm ähnlich vor; alle Gegenstände erinnerten ihn aneinander. Was war mit dem wiederholten Vorkommen des Blitzableiters gemeint? Was sollte er an dem Blitzableiter ablesen? ›Blitzableiter‹? Das war wohl wieder ein Wortspiel? Hieß es, daß ihm nichts passieren konnte? Oder wurde angedeutet, daß er der Pächterin alles erzählen sollte? Und warum hatten die Kekse dort auf dem Holzteller die Form von Fischen? Auf was spielten sie an? Sollte er ›stumm wie ein Fisch‹ sein? Durfte er nicht weiterreden? Sollten ihm die Kekse auf dem Holzteller das andeuten? Es war, als ob er das alles nicht sah, sondern es irgendwo, von einem Plakat mit Verhaltensmaßregeln, ablas.
    Ja, es waren Verhaltensmaßregeln. Der Abwaschfetzen, der über dem Wasserhahn lag, befahl ihm etwas. Auch der Verschluß der Bierflasche auf dem inzwischen sonst leergeräumten Tisch forderte ihn zu irgend etwas auf. Es spielte sich ein:überall sah er eine Aufforderung: das eine zu tun, das andere nicht zu tun. Alles war ihm vorformuliert, das Regal mit den Gewürztiegeln, ein Regal mit Gläsern frisch eingekochter Marmelade   …   es wiederholte sich. Bloch bemerkte, daß er schon seit einiger Zeit nicht mehr mit sich selber sprach: die Pächterin stand am Abwaschbecken und sammelte die Brotreste aus den Untertassen. Man müsse alles hinter ihm wegräumen, sagte sie, nicht einmal die Tischlade mache er zu, aus der er das Besteck hole, Bücher, in denen er blättere, lasse er aufgeklappt liegen, er ziehe den Rock aus und lasse ihn einfach fallen.
    Bloch antwortete, er habe wirklich das Gefühl, er müsse alles fallen lassen. Es fehle nur wenig, daß er zum Beispiel diesen Aschenbecher in seiner Hand loslasse; es wundere ihn selber, den Aschenbecher noch in seiner Hand zu sehen. Er war aufgestanden, wobei er den Aschenbecher vor sich hinhielt. Die Pächterin schaute ihn an. Er schaute eine Zeitlang auf den Aschenbecher, dann stellte er ihn weg. Wie um den Andeutungen ringsherum, die sich wiederholten, zuvorzukommen, wiederholte Bloch, was er gesagt hatte. Er war so hilflos, daß er es noch einmal wiederholte. Er sah, wie die Pächterin den Arm über dem Waschbecken schüttelte. Sie sagte, ein Stück Apfel sei ihr in den Ärmelgefallen, das jetzt nicht herauswolle. Nicht herauswolle? Bloch ahmte sie nach, indem er gleichfalls den Ärmel ausschüttelte. Es kam ihm vor, wenn er alles nachahmte, könnte er wie in einem Windschatten stehen. Aber es fiel ihr gleich auf, und sie machte ihm vor, wie er sie nachahmte.
    Dabei kam sie in die Nähe des
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