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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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während die Sätze nach und nach ausblieben. Er war jetzt ganz wach. Wieder klopfte jemand an die Tür und sagte: »Aufmachen bitte!« Er mußte davon wach geworden sein, daß der Regen aufgehört hatte.
    Er richtete sich schnell auf, eine Bettfeder sprang in ihre Lage zurück, vor der Tür stand das Zimmermädchen mit einem Frühstückstablett. Er habe das Frühstück nicht bestellt, konnte er gerade noch sagen, sie hatte sich schon entschuldigt und an die Tür gegenüber geklopft.
    Wieder allein im Zimmer, fand er alles umgestellt. Er drehte den Wasserhahn auf. Sofort fiel eine Fliege vom Spiegel ins Waschbecken und wurde gleich
     weggespült. Er setzte sich aufs Bett: gerade noch war der Stuhl rechts von ihm gewesen, und jetzt stand er links von ihm. War dasBild
     seitenverkehrt? Er schaute es von links nach rechts an, dann von rechts nach links. Er wiederholte den Blick von links nach rechts; dieser Blick kam ihm
     wie ein Lesen vor. Er sah einen ›Schrank‹, ›danach‹ ›einen‹ ›kleinen‹ ›Tisch‹, ›danach‹ ›einen‹ ›Papierkorb‹, ›danach‹ ›einen‹ ›Wandvorhang‹; beim Blick
     von rechts nach links dagegen sah   er   einen,   daneben   den,   darunter   den, daneben   den,   darauf   seine   ; und wenn er sich umschaute, sah er die, daneben denund die. Er saß auf dem, darunter lag ein, daneben eine. Er ging zum::

    .   Bloch zog die Vorhänge zu und ging hinaus.

    Das Gastzimmer unten war besetzt von der Reisegesellschaft. Der Wirt wies Bloch in das Nebenzimmer, wo die Mutter des Wirts bei vorgezogenen Vorhängen vor dem Fernseher saß. Der Wirt zog den Vorhang weg und stellte sich neben Bloch; einmal sah er ihn links von sich stehen, dann, als er wieder aufschaute, war es umgekehrt. Bloch bestellte ein Frühstück und bat um die Zeitung. Der Wirt antwortete, sie werde gerade von den Mitgliedern der Reisegesellschaft gelesen. Bloch befühlte mit den Fingern sein Gesicht; die Wangen schienen taub zu sein. Es war ihm kalt. Die Fliegen krochen so langsam auf dem Boden herum, daß er sie zuerst für Käfer hielt. Vom Fensterbrett flog eine Biene auf und fiel gleich zurück. Die Leute draußen sprangen zwischen den Pfützen herum; sie trugen dicke Einkaufstaschen. Bloch betastete sich überall im Gesicht.
    Der Wirt kam mit dem Tablett herein und sagte, die Zeitung sei noch immer nicht frei. Er sprach so leise, daß Bloch, als er antwortete, ebenfalls leise redete. »Es eilt nicht«, flüsterte er. Die Scheibe des Fernsehers war jetzt bei Tageslicht staubig, und das Fenster, durch das Schulkinder im Vorbeigehen hereinschauten, spiegelte sich darin. Bloch aß und hörte dem Film zu. Die Mutter des Wirts jammerte hin und wieder.
    Draußen erblickte er einen Ständer mit einer Tragetasche voll Zeitungen. Er ging hinaus, warf zuerst eine Münze in den Schlitz neben der Tasche und nahm dann eine Zeitung heraus. Er war so geübt im Aufblättern, daß er schon im Hineingehen die Beschreibung von sich selber las. Einer Frau war er im Autobus aufgefallen, weil er Münzen aus der Tasche verloren hatte; sie hatte sich danach gebückt und gesehen, daß es sich um amerikanische Münzen handelte. Später erfuhr sie, daß auch neben der toten Kassiererin solche Münzen gefunden worden waren. Zuerst hatte man ihre Angaben nicht ernst genommen, aber dann zeigte sich, daß ihre Beschreibung mit der Beschreibung eines Bekannten der Kassiererin übereinstimmte, der am Vorabend der Tat, als er die Kassiererin mit dem Auto abholte, einen Mann in der Nähe des Kinos stehen sah.
    Bloch setzte sich wieder in das Nebenzimmer und betrachtete das Bild, das man nach den Angaben der Frau von ihm gezeichnet hatte. Hieß das, daß man seinen Namen noch nicht wußte? Wann war die Zeitung gedruckt worden? Er sah, daß es sich um die erste Ausgabe handelte, die gewöhnlich schon am Abend des Vortags erschien. Die Überschrift und das Bild kamen ihm vor wie auf die Zeitung aufgeklebt; wie Zeitungen im Film, dachte er: dort waren auch die wirklichen Schlagzeilen durch Schlagzeilen ersetzt, die auf den Film paßten; oder wie Schlagzeilen, die man in Vergnügungsvierteln von sich selber drucken lassen konnte.
    Die Kritzeleien am Rand hatte man als das Wort ›Stumm‹ entziffert, und zwar mit großem Anfangsbuchstaben; also mußte es sich dabei wohl um einen Eigennamen handeln. Hatte eine Person namens Stumm mit der Sache zu tun? Bloch fiel ein, daß er mit der Kassiererin über seinen Freund, den Fußballer
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