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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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Stumm, geredet hatte.
    Als das Mädchen den Tisch abräumte, faltete Bloch die Zeitung nicht zusammen. Er hörte, der Zigeuner sei freigelassen worden, der Tod des sprechbehinderten Schülers sei ein Unfall gewesen. Von dem Kind gab es in der Zeitung nur ein Klassenfoto, weil es nie allein fotografiert worden war.
    Der Mutter des Wirts fiel ein Polster, mit dem sie sich den Rücken stützte, vom Sessel auf den Boden, Bloch hob es auf und ging mit der Zeitung hinaus. Er sah das Wirtshausexemplar auf dem Kartentisch liegen; die Reisegesellschaft war inzwischen abgefahren. Die Zeitung – es handelte sich um die Wochenendausgabe – war so dick, daß sie nicht in den Halter paßte.
    Als ein Auto an ihm vorbeifuhr, wunderte er sich sinnlos – es war nämlich recht hell –, daß es mit ausgeschalteten Scheinwerfern fuhr. Es gab keine besonderen Vorkommnisse. Er sah, wie in den Obstgärten die Kisten mit Äpfeln in die Säcke geschüttet wurden. Ein Fahrrad, das ihn überholte, rutschte im Schlamm hin und her. Er sahzwei Bauern in der Tür eines Geschäfts einander die Hand geben; die Hände waren so trocken, daß er sie rascheln hörte. Von den Feldwegen führten Lehmspuren von Traktoren auf die Asphaltstraße hinauf. Er sah eine alte Frau, einen Finger auf den Lippen, gebeugt vor einem Schaufenster stehen. Die Parkplätze vor den Geschäften wurden leerer; die Kunden, die noch kamen, gingen durch den Hintereingang. ›Schaum‹ ›floß‹ ›die Haustorstufen‹ ›herab‹. ›Federbetten‹ ›lagen‹ ›hinter‹ ›den Fensterscheiben‹. Die schwarzen Tafeln mit den Preisaufschriften wurden zurück in die Läden getragen. ›Die Hühner‹ ›pickten‹ ›abgefallene Weintrauben‹ ›auf‹. Die Truthähne hockten schwer auf den Drahtkäfigen in den Obstgärten. Die Lehrmädchen traten aus der Tür und stützten die Hände auf die Hüftknochen. Im dunklen Geschäft stand der Kaufmann ganz still hinter der Waage. ›Auf dem Ladentisch‹ ›lagen‹ ›Germbrocken‹. Bloch stand an einer Hauswand. Es gab ein eigenartiges Geräusch, als neben ihm ein nur angelehntes Fenster aufgemacht wurde. Er war sofort weitergegangen.
    Er stand vor einem Neubau, der noch nicht bewohnt war, in dem aber schon die Fensterscheiben eingesetzt waren. Die Räume waren so leer, daß man durch alle Fenster durch auf die Landschaft dahinter schauen konnte. Bloch kam es vor, alshätte er das Haus selber hergestellt. Er selber hatte die Steckdosen montiert und sogar die Fensterscheiben eingesetzt. Auch das Stemmeisen, das Jausenpapier und der Gabelbissenbecher auf dem Fensterbrett stammten von ihm.
    Er schaute ein zweites Mal hin: nein, die Lichtschalter blieben Lichtschalter, und die Gartenstühle in der Landschaft hinter dem Haus blieben Gartenstühle.
    Er ging weiter, weil –
    Mußte er das Weitergehen begründen, damit –?
    Was bezweckte er, wenn –? Mußte er das ›wenn‹ begründen, indem er –? Ging das so weiter, bis –? War er schon so weit, daß –?
    Warum mußte daraus, daß er hier ging, etwas gefolgert werden? Mußte er begründen, warum er hier stehenblieb? Warum mußte er, wenn er an einem Schwimmbad vorbeiging, etwas bezwecken?
    Diese ›so daß‹, ›weil‹ und ›damit‹ waren wie Vorschriften; er beschloß, sie zu vermeiden, um sie nicht –
    Es war, als ob neben ihm ein angelehnter Fensterladen leise aufgemacht würde. Alles Denkbare, alles Sichtbare war besetzt. Nicht ein Schrei erschreckte ihn, sondern ein auf den Kopf gestellter Satz am Ende einer Reihe von gewöhnlichen Sätzen. Alles kam ihm umgetauft vor.
    Die Geschäfte waren schon geschlossen. Die Stellagen, vor denen niemand mehr hin und her ging, sahen überfüllt aus. Es gab keinen Platz, auf dem nicht wenigstens ein Stapel von Konservendosen stand. Aus der Ladenkasse hing noch ein halb abgerissener Kassenzettel. Die Läden waren so angeräumt, daß   …
    »Die Läden waren so angeräumt, daß man auf nichts mehr zeigen konnte, weil …« »Die Läden waren so angeräumt, daß man auf nichts mehr zeigen konnte, weil die einzelnen Sachen einander verdeckten.« Auf den Parkplätzen standen inzwischen nur noch die Fahrräder der Lehrmädchen.
    Nach dem Mittagessen ging Bloch auf den Sportplatz. Schon von weitem hörte er das Geschrei der Zuschauer. Als er ankam, spielten noch im Vorspiel die Reservemannschaften. Er setzte sich auf die Bank an der Längsseite des Spielfelds und las die Zeitung durch bis zur Wochenendbeilage. Er hörte ein
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