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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
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Bedarfshaltestellen aus. Sie stellten sich neben den Fahrer, der sie dann vorn hinausließ. Als der Autobus stand, hörte Bloch oben auf dem Dach die Plane flattern. Dann hielt der Autobus wieder, und er hörte draußen im Finstern Begrüßungsrufe. Weiter weg erkannte er einen Bahnübergang ohne Schranken.
    Kurz vor Mitternacht hielt der Bus in dem Grenzort. Im Gasthof, an dem sich die Haltestelle befand, bekam Bloch sofort ein Zimmer. Er fragte das Mädchen, das ihn hinaufführte, nach der Bekannten, von der er nur den Vornamen, Hertha, wußte. Sie konnte ihm Auskunft geben: die Bekannte habe eine Gaststätte etwas außerhalb des Ortes gepachtet. Was dieses Geräusch bedeute? fragte Bloch, schon im Zimmer, das Mädchen, das in der Tür stand. »Einige Burschen sind noch beim Kegelschieben!« antwortete das Mädchen und ging aus dem Zimmer. Ohne sich umzuschauen, zog Bloch sich aus, wusch sich die Hände und legte sich ins Bett. Das Rumpeln und Krachen unten dauerte noch einige Zeit, aber Bloch war schon eingeschlafen.
    Er war nicht von selbst aufgewacht, sondern mußte durch irgend etwas geweckt worden sein. Es war überall still; Bloch überlegte, was ihn geweckt haben könnte; nach einiger Zeit begann ersich einzubilden, er sei durch das Umfalten einer Zeitung aufgeschreckt. Oder war es das Knacken des Schranks gewesen? Eine Münze war wohl aus der nachlässig über den Stuhl gelegten Hose gefallen und unter das Bett gerollt. An der Wand erblickte er einen Stich, der den Ort zur Zeit der Türkenkriege darstellte; vor den Mauern ergingen sich die Bürgersleute, hinter den Mauern hing die Glocke so schief im Glockenturm, daß man annehmen mußte, daß sie gerade heftig läutete. Bloch überlegte, wie unten der Glöckner von dem Glockenseil aufgelüpft wurde; er sah, daß die Bürger draußen alle auf das Mauertor zugingen; einige, mit Kindern auf dem Arm, liefen, ein Hund wedelte zwischen den Beinen eines Kindes durch, daß dieses zu straucheln schien. Auch die kleine Notglocke im Kapellenturm war so eingezeichnet, daß sie fast umkippte. Unter dem Bett hatte nur ein abgebranntes Streichholz gelegen. Draußen auf dem Gang, weiter weg, krachte wieder ein Schlüssel in einem Schloß; davon war er wohl wach geworden.
    Beim Frühstück hörte Bloch, seit zwei Tagen werde ein gehbehinderter Schüler vermißt. Das Mädchen erzählte es dem Busfahrer, der in dem Gasthof übernachtet hatte, bevor er, wie Bloch durch das Fenster beobachtete, mit dem ziemlichunbesetzten Wagen zurückfuhr. Später ging auch das Mädchen weg, so daß Bloch eine Zeitlang allein im Gastzimmer saß. Auf dem Stuhl neben sich stapelte er die Zeitungen; er las, daß es sich nicht um einen verkrüppelten, sondern um einen sprechbehinderten Schüler handelte. Über ihm, so erklärte wie zur Rechenschaft gleich nach der Rückkehr das Mädchen, wurde Staub gesaugt. Bloch wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Dann klirrten die leeren Bierflaschen in den Kisten, die draußen über den Hof getragen wurden. Die Stimmen der Bierträger im Flur hörte Bloch, als ob sie nebenan aus dem Fernseher kämen. Das Mädchen hatte ihm erzählt, die Mutter des Wirts sitze tagsüber im Nebenzimmer und betrachte das Schichtarbeiterprogramm.
    Später kaufte sich Bloch in einem Gemischtwarengeschäft ein Hemd, Unterwäsche und einige Paar Socken. Die Verkäuferin, die nach einer Weile aus dem ziemlich dunklen Magazin gekommen war, schien Bloch, der in ganzen Sätzen zu ihr sprach, nicht zu verstehen; erst als er ihr einzeln die Worte für die gewünschten Sachen vorsagte, hatte sie wieder angefangen, sich von der Stelle zu rühren. Während sie die Lade aus der Kasse zog, hatte sie gesagt, es seien auch Gummistiefel eingetroffen; und noch während sie ihm die Sachen ineiner Plastiktragetasche aushändigte, hatte sie gefragt, ob er noch etwas brauche: Taschentücher? Eine Krawatte? Eine Wollweste? Im Gasthof hatte Bloch sich umgezogen und die gebrauchte Wäsche in die Plastiktasche verstaut. Auf dem Platz draußen und auf dem Weg aus dem Ort hinaus kam ihm dann kaum jemand entgegen. Neben einem Neubau wurde gerade die Mörtelmischmaschine ausgeschaltet; es war so ruhig, daß Bloch die eigenen Schritte wie ungehörig vorkamen. Er war stehengeblieben und hatte die schwarzen Planen auf den Holzstößen eines Sägewerks beobachtet, als ob da etwas anderes zu hören sei als das Gemurmel der Sägearbeiter, die hinter den Holzstößen wohl bei der Jause saßen.
    Es war ihm
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