Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Autoren: Peter Handke
Vom Netzwerk:
erklärt worden, daß die Gaststätte mit ein paar Bauernhäusern und dem Zollwachehaus sich an der Stelle befände, wo die asphaltierte Straße in einem Bogen zum Ort zurückführe; von der Straße zweige ein Weg ab, der zwischen den Häusern gleichfalls asphaltiert, später aber nur noch geschottert sei und dann, kurz vor der Grenze, in einen Steg übergehe. Der Grenzübergang sei geschlossen. Nach dem Grenzübergang hatte Bloch freilich gar nicht gefragt.
    Über einem Feld sah er einen Habicht kreisen. Als der Habicht dann auf der Stelle flatterte undherabstieß, fiel Bloch auf, daß er nicht das Flattern und Herabstoßen des Vogels beobachtet hatte, sondern die Stelle im Feld, auf die der Vogel wohl herabstoßen würde; der Habicht hatte sich im Sturzflug gefangen und war wieder aufgestiegen.
    Eigenartig war es auch, daß Bloch beim Vorbeigehen im Maisfeld nicht die gerade verlaufenden Gassen durch bis zum anderen Ende des Maisfelds sah, sondern nur das undurchsichtige Dickicht von Stengeln, Blättern und Kolben, aus denen hier und da noch dazu die nackten Körner herausschauten. Noch dazu? Der Bach, über den die Straße gerade führte, rauschte ziemlich laut, und Bloch stockte.
    Im Wirtshaus traf er die Kellnerin, die gerade den Boden aufwusch. Bloch fragte nach der Pächterin. »Sie schläft noch! « sagte die Kellnerin. Bloch bestellte im Stehen ein Bier. Die Kellnerin hob einen Stuhl vom Tisch. Bloch nahm den zweiten Stuhl vom Tisch und setzte sich.
    Die Kellnerin ging hinter die Theke. Bloch legte die Hände auf den Tisch. Die Kellnerin bückte sich und öffnete die Flasche. Bloch schob den Aschenbecher weg. Die Kellnerin nahm im Vorbeigehen von einem anderen Tisch einen Bierdeckel. Bloch rückte mit dem Stuhl zurück. Die Kellnerin nahm das Glas von der Flasche, auf die sie es gestülpthatte, legte den Bierdeckel auf den Tisch, stellte das Glas auf den Deckel, kippte die Flasche in das Glas, stellte die Flasche auf den Tisch und ging weg. Es fing schon wieder an! Bloch wußte nicht mehr, was er tun sollte.
    Endlich erblickte er einen Tropfen, der außen am Glas herunterlief, und an der Wand eine Uhr, deren Zeiger durch zwei Streichhölzer gebildet wurden; ein Streichholz war abgebrochen und diente als Stundenzeiger; er hatte nicht den herunterlaufenden Tropfen angeschaut, sondern die Stelle auf dem Deckel, auf die der Tropfen wohl treffen könnte. Die Kellnerin, die inzwischen mit einer Paste den Boden einließ, fragte, ob er die Pächterin kenne. Bloch nickte, sagte aber erst, als die Kellnerin aufschaute, ja.
    Ein Kind kam hereingelaufen, ohne die Tür zuzumachen. Die Kellnerin schickte es zum Eingang zurück, wo es die Stiefel abstreifte und nach einer zweiten Ermahnung die Tür schloß. »Das Mädchen der Wirtin!« erklärte die Kellnerin, die das Kind dann sofort in die Küche brachte. Als sie wieder hereinkam, sagte sie, vor einigen Tagen habe sich bei der Wirtin ein Mann gemeldet. »Er hat vorgegeben, für eine Brunnenausschachtung bestellt zu sein. Sie hat ihn gleich wieder wegschicken wollen, aber er hat nicht lockergelassen, bissie ihm den Keller gezeigt hat, wo er sofort einen Spaten genommen hat, so daß sie Hilfe geholt hat, damit er weggeht und sie …« Bloch gelang es gerade noch, sie zu unterbrechen. »Das Kind hat seitdem Angst, daß der Brunnenmacher zurückkommt.« Aber inzwischen war ein Zollwachebeamter hereingetreten und hatte an der Theke ein Glas Schnaps getrunken.
    Ob der vermißte Schüler wieder zu Hause sei? fragte die Kellnerin. Der Zollwachebeamte antwortete: »Nein, er ist noch nicht gefunden worden.«
    »Er ist ja noch nicht einmal zwei Tage weg«, sagte die Kellnerin. Der Zollwachebeamte erwiderte: »Aber die Nächte sind schon ziemlich kalt.«
    »Immerhin ist er warm angezogen«, sagte die Kellnerin. Ja, er sei warm angezogen gewesen, sagte der Zollwachebeamte.
    »Er kann nicht weit sein«, fügte er hinzu. Er könne nicht weit gekommen sein, wiederholte die Kellnerin. Über dem Musikautomaten erblickte Bloch ein beschädigtes Hirschgeweih. Die Kellnerin erklärte, es stamme von einem Hirsch, der sich ins Minenfeld verirrt habe.
    In der Küche hörte er Geräusche, die, als er hinhörte, sich als Stimmen herausstellten. Die Kellnerin rief durch die geschlossene Tür. Die Pächterinantwortete in der Küche. Einige Zeit unterhielten sie sich so miteinander. Dann, mitten in einer Antwort, kam die Pächterin herein. Bloch begrüßte sie.
    Sie setzte sich an seinen Tisch,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher