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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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sich Maries Atem beruhigt hatte und sie ihre Hand von ihrem noch immer engen Hals nehmen konnte.
    Es war fünf Uhr morgens.
    Matt legte sie sich wieder zurück, nicht sicher, ob sie noch einmal einschlafen wollte.
    Magnus schaute sie mit besorgter Miene an.
    Um kein Gespräch anfangen zu müssen, schloss Marie die Augen. Was für eine tolle Art, seinen Geburtstag zu beginnen!
    *
    »Marie! Ich hätte nicht gedacht, Sie heute bei mir begrüßen zu dürfen.« Alois Sawatzkys Verbeugung war vollendet. »Ich wünsche Ihnen von Herzen nur das Beste zu Ihrem Freudentag.« Er half ihr aus dem Mantel und hängte ihn an einem wackligen Haken hinter der Tür auf.
    »Dass Sie sich meinen Geburtstag gemerkt haben …« Sie strich ein paar Regentropfen aus ihrer Stirn. Die feuchten Stellen an ihren Ärmeln, wo der Regen durch den Mantel gedrungen war, schienen sie nicht zu stören.
    Der Buchhändler hatte noch nie erlebt, dass sie mit einem Regenschirm gekommen wäre. Der Aufwand, diesen zu tragen, war Marie Steinmann scheinbar lästiger, als nass zu werden.
    »Bedauerlicherweise ist das Wetter heute alles andere als einem Festtag gemäß. Gibt es etwas Unangenehmeres als diesen beharrlichen Märzregen?«
    »Das ist leider nicht das Einzige, was heute wenig an einen Festtag erinnert«, bemerkte Marie seufzend. »Am besten warne ich Sie gleich vor: Meine Laune lässt heute sehr zu wünschen übrig.«
    Sawatzky hob fragend die Augenbrauen. Da sie ihre letzte Bemerkung nicht weiter ausführte, sagte er: »Was halten Sie von einem Glas Tee? Ich habe gerade frischen aufgebrüht.«
    »Schaden kann er auf keinen Fall.« Ohne Umstände ließ sich Marie in einen der abgewetzten Ledersessel fallen, die er für seine Kunden aufgestellt hatte. Schmunzelnd bemerkte Sawatzky, dass sie selbst an ihrem Geburtstag ihre übliche Arbeitskluft trug. Mit ihren Beinkleidern hätte Marie Steinmann jedem Enfant terrible der Berliner oder Münchner Kunstwelt Konkurrenz gemacht – doch interessanterweise schienen sich die Leute hier an ihrem Aufzug weniger zu stören als an ihrem Beruf. Oder war es einfach so, dass man sich bei Marie Steinmann über nichts mehr wunderte?
    Gekonnt balancierte er zwei Gläser Tee durch die schmalenGänge, ohne auch nur einmal an einem der mannshohen Bücherstapel anzuecken. Nachdem er ein Glas auf dem Tischchen vor Marie abgestellt hatte, setzte er sich ihr aufseufzend gegenüber. Seine Arthrose hatte ihn am Morgen so geplagt, dass er mit dem Gedanken gespielt hatte, seinen Laden heute geschlossen zu lassen. Nun war er froh, seiner Schwäche nicht nachgegeben zu haben. Schon lange war Marie mehr als eine gute Kundin. Im Laufe der neunzehn Jahre, die sie sich nun kannten, war sie für ihn so etwas wie eine jüngere Schwester geworden, die er nie gehabt hatte.
    Bedächtig rührte er in seinem Tee, und Marie tat es ihm gleich. Eine Zeitlang war nur das Klirren der kleiner werdenden Kandisbrocken zu hören.
    In diesem Teil des Raumes, wo es genauso gemütlich war wie im Rest des Ladens, konnte ein Kunde ein Buch anlesen oder es einfach nur durchblättern. Hier traf man sich außerdem in angeregter Runde, um sich an Goethe und Schiller zu ergötzen, aber auch, um hitzig über die Werke neuer, junger Dichter zu diskutieren. Ja, Alois Sawatzkys Diskussionszirkel hatte in Intellektuellenkreisen weit über Sonneberg hinaus einen guten Ruf. Dasselbe galt für sein Bücherangebot, das in Umfang wie Qualität manche großstädtische Buchhandlung in den Schatten stellen konnte.
    »Sie sehen etwas müde aus«, bemerkte er nun über den Rand seines Glases hinweg. »Haben Sie Ihren Geburtstag etwa schon vorgefeiert? Heißt es nicht, das brächte Unglück?«
    Marie winkte ab. »Ein bisschen Unglück würde ich gern in Kauf nehmen, wenn es Hand in Hand mit etwas Abwechslung ginge. Davon abgesehen, dass Johanna und die anderen darauf bestanden haben, dass ich mir freinehme, ist heute ein Tag wie jeder andere.«
    Wieder einmal wunderte er sich über den Mangel an Leichtigkeit bei der jungen Frau. Wie viel lieber hätte er esgesehen, Marie Steinmann hätte sich heute feiern lassen! Hätte ihre dunkelbraunen Haare zu Locken aufgedreht, ein hübsches Kleid angezogen und sich von einem Herzallerliebsten ausführen lassen, statt hier mit ihm altem Mann zu sitzen!
    »Das müssen wir dringend ändern!« Er stand auf und verschwand erneut in den Tiefen seines Ladens. Im nächsten Moment kam er mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. »Es ist
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