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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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zwar erst früher Nachmittag, aber darf ich Sie trotzdem auf einen Sherry einladen?«
    Ohne Maries Antwort abzuwarten, schenkte er je zwei Fingerbreit der goldbraunen Flüssigkeit ein. Wo Tee nicht mehr half, hatte Sherry bisher selten versagt.
    »Auf Ihr Wohl!«
    Immerhin nahm sie ihr Glas auf.
    »Und auf Ihres«, prostete sie zurück.
    Dann beugte er sich ihr entgegen. »So. Und jetzt erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben. Und kommen Sie mir bloß nicht damit, dass alles in Ordnung wäre!«
    Marie verzog den Mund. »Eigentlich ist es das schon. Im Grunde ist es lachhaft, aber …« Sie zögerte noch einen Moment, doch dann erzählte sie ihm ihren Traum.
    »Ich habe wirklich geglaubt, ich müsste ersticken«, endete sie. Sie wirkte noch immer erschüttert. »Dem armen Magnus ist der Schrecken durch Mark und Bein gefahren, so laut habe ich geschrien!« Sie stieß die Luft aus. »Gott sei Dank war alles nur ein Traum. Mir ist immer noch ganz unheimlich zumute, wenn ich nur daran denke.«
    Sawatzky kratzte sich am Kopf. »Sigmund Freud würde seine wahre Freude an Ihnen haben«, sagte er trocken.
    Marie blickte den Buchhändler schräg an. »Kommen Sie mir bitte nicht schon wieder mit diesem Herrn Freud und seinem Unterbewusstsein! Warum, so frage ich mich, kann der Mensch nicht etwas wirklich Sinnvolles entdecken?« Die Ironie triefte nur so aus jedem Wort. Als Sawatzky nichtgleich antwortete, fuhr sie fort: »Dinge, die das Leben der Menschen erleichtern. Maschinen und so …«
    Seltsam, dass Marie stets so heftig reagierte, wenn er es wagte, die Rede auf den Psychoanalytiker zu bringen, dachte der Buchhändler nicht zum ersten Mal. Ansonsten war sie Menschen mit neuen Ideen gegenüber doch recht aufgeschlossen!
    »Das Unterbewusstsein, so man sich dessen bewusst ist, kann durchaus geeignet sein, das Leben der Menschen zu erleichtern«, erwiderte er etwas schulmeisterlich. »Aber lassen wir das. Wir wollen doch an Ihrem Freudentag nicht streiten. Und wenn, dann nur konstruktiv.«
    Er sprang auf.
    »Wissen Sie was? Sie suchen sich jetzt ein Buch aus, das Ihnen gefällt, und ich schenke es Ihnen!« Es wäre doch gelacht, wenn es ihm nicht gelänge, auf dieses verkniffene Frauengesicht wenigstens den Hauch eines Lächelns zu bringen! Auf ihr Zögern hin fügte er hinzu: »Es darf auch einer der teuren Bildbände sein, die Sie so lieben. Nein, nein, Proteste lasse ich heute nicht zu!« Abwehrend hob er beide Hände, da Marie prompt widersprechen wollte.
    Zögerlich stand sie auf. Doch sie hatte die erste Reihe Bücher noch nicht durchgesehen, als sie sich zu Sawatzky umdrehte. »Es hat keinen Sinn.« Kopfschüttelnd ging sie zu ihrem Sessel zurück und setzte sich, die Tränen mühsam hinter den Lidern zurückhaltend. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ihnen so die Freude zu verderben …«
    Er schwieg.
    Fast mutlos hob Marie schließlich den Kopf. »Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich geglaubt, in diesen Büchern würde ich die Welt entdecken. Jede Zeile habe ich verschlungen, jeden Bildband stundenlang studiert! Manchmal habe ich mich richtig verbunden gefühlt mit all den Malern und Schriftstellern. Aber hat es mir etwas gebracht?Weiterbilden wollte ich mich. Meine künstlerische Entwicklung fördern. Hah!«
    Im Grunde genommen hatte er schon seit längerem mit einem solchen Ausbruch gerechnet. Dass Marie Steinmann nicht glücklich war, konnte jeder Trottel erkennen. Trotzdem erschreckte ihn ihre Heftigkeit.
    »Von wegen die Welt entdecken! Das tun andere. Ihr Sigmund Freud findet sein Unterbewusstsein, Franz Marc malt blaue Pferde, dieser Alfred Döblin, von dem Sie mir letzte Woche etwas zu lesen gegeben haben, schreibt über den Mord an einer Butterblume – wie kann man nur auf so eine verwegene Idee kommen?« Geradezu vorwurfsvoll starrte sie den Buchhändler an. »Und ich male Sternchen und Girlanden und Weihnachtsglocken auf Christbaumkugeln. Wie eh und je.« Sie schluckte hart. »Und das nicht einmal mehr gut.« Marie starrte vor sich hin.
    Marie Steinmann. Die jüngste der drei Steinmann-Schwestern. Die erste Frau, die es gewagt hatte, sich an den Bolg zu setzen und Glas zu blasen. Während andere Lauschaer Frauen damit zufrieden waren, das zu tun, was seit Jahrhunderten in der Glasherstellung als ihre Aufgabe galt, nämlich Glasbläser zu heiraten und deren Glaswaren zu versilbern und zu bemalen, hatte sie sich als junges Mädchen heimlich an den Bolg ihres verstorbenen
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