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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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wanderte sein Blick vielleicht schon zur fast zehn Meter langen Theke, hinter der sich kalte Platten mit Häppchen aneinanderdrängten. Ob für ein intimes Dinner für acht Personen oder eine Tafel für dreißig – kaum eine Gastgeberin konnte es sich leisten, nicht wenigstens für einen Gang Schraft’s Häppchen einzuplanen. Die Spezialitäten des Delikatessenladens gehörten zu einem stilvollen Essen wie handgewebte Leinenservietten oder Tafelsilber von Tiffany.
    Wer gut genug bei Kasse war, ließ sich sogar die ganze Feierlichkeit von den versierten Schraft’s-Experten ausrichten, für die kein Aufwand zu groß, kein ausgefallener Wunsch des Gastgebers zu verwegen war. Drei Dutzend polnische Piroggen, gefüllt mit russischem Kaviar? Kein Problem, Madam! Ein Bankett für hundertdreißig Personen in fünf Stunden? Nicht unproblematisch, dennoch können Sie sich auf uns verlassen! Die Hektik, die nach solchen Aufträgen ausbrach, fand lediglich hinter den Kulissen statt, wo Köche sich um die Gasflammen stritten, Küchenjungen im Rekord Gemüse putzten und Weintrauben zupften. Die Ware, die nach solchen Schlachten ausgeliefert wurde, war stets von bester Qualität und mit einer Sorgfalt zubereitet, als hätten die Köche die ganze Woche lang nichts anderes getan.
    Es war dieser Perfektionismus, der Wanda so faszinierte. Dass sie Teil dieser vollkommenen Maschinerie war, dass ihre Arbeit dazu beitrug, solche Leistungen zu vollbringen, erfüllte sie mit Stolz.
    Natürlich hatte ihre Mutter die Nase gerümpft, als Wanda ihren Entschluss, als Servicedame bei Schraft’s anzufangen, kundtat.
    »Was ist Unehrenhaftes daran, Lebensmittel zu verkaufen?«, hatte Wanda von ihr wissen wollen, noch bevor Ruth einen Ton sagen konnte. Vielleicht hatte sie aber auch gar nichts sagen wollen. Vielleicht war ihr im tiefsten Herzen sogar gleich, womit Wanda ihre Tage verbrachte. Wanda zog es jedoch vor, sich vorzustellen, dass Ruth unter ihrem Entschluss litt.
    »Es ist gar nichts Unehrenhaftes daran, Lebensmittel zu verkaufen. Es ist genauso wenig unehrenhaft wie das Zubereiten von Lebensmitteln«, hatte Ruth erklärt. »Ich frage mich, warum du nicht gleich Köchin wirst.«
    »Was nicht ist, kann ja noch werden«, hatte Wanda erwidert. Ein bisschen ärgerte es sie schon, dass ihre Mutter nicht so schockiert über ihre neue Arbeitsstelle war, wie sie es sich vorgestellt hatte.
    Sie zog sich ein letztes Mal die blütenweiße, gestärkte Schürze zurecht – demonstrativ hatte sie sie schon zu Hause umgebunden, statt dies wie die anderen Servicedamen erst im Laden zu tun – und schaute erwartungsvoll in Richtung Tür.
    Nun arbeitete sie schon seit zweieinhalb Wochen hier. Bisher war jeder Tag wie eine große Wundertüte gewesen – man wusste morgens nie, was einen erwartete. Und was das Beste war: Mason Schraft schien mit ihr zufrieden zu sein. Gesagt hatte er zwar noch nichts, aber wann immer er an ihrer Theke vorbeikam, nickte er ihr freundlich zu, während er manche ihrer Kolleginnen nicht einmal eines Blickes würdigte. Lagdas daran, dass sie weniger unter der Hektik litt als die meisten anderen Mädchen? Dass sie im größten Trubel die Übersicht behielt und nicht einmal in ihren ersten Tagen einen Fehler beim Aufnehmen der Bestellungen, beim Bedienen und Kassieren gemacht hatte? Oder besser noch: Hatten sich womöglich Kunden lobend über ihre Beratung geäußert? Davon, dass sie, Wanda Miles, aus einem der elegantesten Haushalte von ganz Manhattan stammte, konnten ihre Kunden nur profitieren, oder etwa nicht? Dass ihre Mutter eine der angesehensten Gastgeberinnen und selbst Kundin von Schraft’s war, legte doch ausreichend Zeugnis von Wandas Gespür für Kundenwünsche ab, oder etwa nicht? Wer konnte besser auf die wählerischen Damen der feinen Gesellschaft eingehen als jemand, der in deren Mitte aufgewachsen war?, hatte Wanda gegenüber Mister Schraft argumentiert, der befürchtet hatte, dass es den feinen Damen der Gesellschaft vielleicht gar nicht recht wäre, von ihr bedient zu werden. Doch letztendlich hatte er sich von Wandas Eifer breitschlagen lassen.

    »Die Feste sind ja in dieser Saison so langweilig geworden! Kein Esprit mehr! Keine neuen Ideen! Ständig wird das wiedergekäut, was schon auf anderen Einladungen serviert wurde.« Monique Demoines, Frau von Charles Demoines, einem der einflussreichsten Broker vom Bankhaus Stanley Finch, fächerte sich theatralisch Luft zu. Fast angeekelt wanderte ihr Blick
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