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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Autoren: Kai Meyer
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zugleich ein wenig vorgestreckt. Er wußte, daß es nicht ausreichte, nur den Boden vor seinen Füßen zu beobachten. Hier unten mochten die Gefahren auch über einem lauern, meist in Form von Fluchtschächten in den Gewölbedecken, die zum einen oder anderen Unterschlupf einer Verbrecherbande führten. Gillian hatte wenig Bedarf, sich zu all seinen Sorgen auch noch Ärger mit diesem Gesindel einzuhandeln.
    Ein eisiger Luftzug wehte durch die Schächte und brachte eine Vielzahl der unterschiedlichsten Laute mit sich. Das allgegenwärtige Rascheln der Ratten wurde von fernen Stimmen, sogar vom Gesang eines Betrunkenen überlagert. Einmal mehr fragte sich Gillian, weshalb Lysander ausgerechnet hier Quartier bezogen hatte. Er hätte wahrlich genügend Einfluß gehabt, um sich in einem der alten Paläste einzumieten.
    Freilich, Lysander war keiner, der sich wie eine Ratte in feuchten Löchern verkroch. Wenn es denn Gewölbe und Kellerhallen sein mußten, dann schon ganz besondere. Das war wohl der Grund, weshalb er sich von allen Orten ausgerechnet die Unterwelt der Hofburg ausgesucht hatte. Es mußte ihn ein Vermögen kosten, sein Reich nach oben hin abzuschotten. Allein die Schmiergelder an die Burghauptmannschaft mußten astronomisch sein. Aber um Geld war Lysander nie verlegen gewesen.
    Die Hofburg mit ihren achtzehn Trakten, mehr als fünfzig Stiegenhäusern und nahezu dreitausend Räumen war eine Residenz, wie sie Lysander gefallen hätte. Da er die jedoch nicht haben konnte, mußten es zumindest ihre Keller sein. Wenigstens einige davon. Hätte er Lysander nicht besser gekannt, so hätte diese Feststellung Gillian vielleicht ein Lächeln entlockt. So aber spürte er nichts als Unbehagen, durchmischt mit dem eiskalten Atem der Furcht.
    Gebeugt ging er durch einen Bogengang, in dessen Mitte ein schmaler Wasserlauf rauschte. Das Licht seiner Lampe huschte flimmernd über die Oberfläche. Irgendwo am Ende dieses Tunnels gab es einen Schacht, der direkt in den alten Eiskeller der Hofburg führte. Er hatte gehört, der Raum werde nicht mehr genutzt, konnte dessen aber nicht vollkommen sicher sein.
    Er fand die Klappe auf Anhieb, scheiterte aber beim ersten Versuch, sie zu öffnen. Gillian war zwar schnell und geschickt, doch mangelte es ihm von jeher an Kraft, ein Nachteil seiner androgynen Natur. Würde es nötig sein, mit Gewalt in den Keller einzudringen, so mochte er daran scheitern.
    Nach einigem Suchen entdeckte er einen verborgenen Mechanismus, einen winzigen Hebel, den er mittels einiger Schläge mit der Lampenkante aus seiner eingerosteten Stellung brachte. Jetzt ließ sich das Eisenschott mühelos nach außen klappen. Die Scharniere knirschten. Gillian fluchte im stillen. Hier unten war das Echo unberechenbar, man wußte nie, welcher Laut wohin drang.
    Er zog die Klappe hinter sich zu und bemerkte, daß der Riegel abermals einschnappte. Damit war ihm der Rückzug fürs erste versperrt. Blieb zu hoffen, daß eine Flucht nicht nötig sein würde.
    Der enge Schacht endete unterhalb einer weiteren Metallplatte, schwer genug, Gillian gehörige Mühe zu bereiten. Schließlich gelang es ihm, sie zur Hälfte beiseite zu schieben. Keuchend schlängelte er sich durch den Spalt. Oben angekommen klopfte er sich den Roststaub von der Kleidung, ließ den Zugang aber offen.
    Als er sich umschaute, sah er, daß seine Hoffnung berechtigt gewesen war. Der Eiskeller war stillgelegt, wurde augenscheinlich seit Jahren nicht mehr genutzt. Im fahlen Licht der Lampe bot sich ein imposanter Anblick.
    Ein Rundbau, etwa fünf Schritte im Durchmesser, schraubte sich zehn Meter hoch ins Dunkel. In die runden Wände waren vom Boden bis zur Decke Kammern eingelassen, die einstigen Kühlfächer. Jetzt standen sie alle leer. In früheren Wintern hatte man den Raum mit Eisschollen aus der Donau gefüllt, die sich in dieser Tiefe das ganze Jahr über hielten. Lebensmittel konnten hier monatelang gelagert werden, auch schon vor sechshundert Jahren, als die Keller der Hofburg entstanden waren. Die Kühlkammern klafften schwarz in den brüchigen Mauern, erzeugten im Schein der Lampe bizarre Schattenspiele. Aus einigen Löchern erklang das Pfeifen ganzer Rattenschwärme.
    Als Mittelachse des Eiskellers führte eine Strickleiter vom Boden bis zur Decke, wo sie unter einer Falltür im Stein verankert war. Gillian befestigte die Lampe an seinem Gürtel und zog prüfend an den unteren Sprossen. Das Holz schien alt und rissig, und er hatte Zweifel, ob
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