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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe
Autoren: Gaia Coltorti
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»Alles okay, Johnny. Das geht bestimmt gleich wieder vorbei, bitte nicht reinkommen.« Doch daraufhin hustete sie noch heftiger und stieß eine Art Röcheln aus, sodass du ins Bad stürmtest. Du sahst, wie sie mit dem Rücken an der warmen Heizung lehnte. Selvaggias Stirn war mit kaltem Schweiß bedeckt, und sie atmete schwer. Sie war bereits für die Schule angezogen, ihr musste also gerade erst schlecht geworden sein. Sofort nahmst du sie in die Arme. »Was hast du nur, mein Schatz? Hast du Fieber?«
    Â»Ich hab nichts. Außerdem solltest du doch nicht reinkommen«, beschwerte sie sich erschöpft und versuchte sich zu beruhigen. Aber ein neuer Anfall zwang sie, sich von dir zu lösen und sich über dem Waschbecken zu erbrechen – vermutlich nur Galle. Besorgt hieltst du ihr die Stirn.
    Als sie wenige Minuten später auf dich gestützt in ihr Zimmer zurückkehrte, begegnetet ihr eurer Mutter. Sie war auch gleich besorgt und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Was ist passiert?«, fragte sie.
    Â»Ihr muss von irgendwas schlecht geworden sein«, erklärtest du, bevor du deine Schwester zu Bett brachtest. »Ihr ist übel.«
    Kaum lag Selvaggia wieder unter der Decke, drehte sie sich auf die Seite, nahm deine Hand und umklammerte sie ganz fest – wie um dir zu sagen, dass du bei ihr bleiben solltest, bis es ihr wieder besser ging. Sie zitterte ein wenig und atmete tief durch, als gäbe es zu wenig Sauerstoff im Raum. Ohne recht zu wissen, warum, erschrakst du: Du hattest Angst um sie, Angst, ihr könnte etwas wirklich Schlimmes zustoßen. Und dann diese Übelkeit, die gerade in dir aufstieg! Ihre ungewohnte Blässe und ihr Zittern weckten diese seltsame, alberne Furcht in dir, du könntest sie für immer verlieren. Mit aller Macht sehntest du einen Arzt herbei, der in der Lage war, sie zu heilen. Du spürtest ihre Angst, weil sie dermaßen zitterte und zuckte und dich mit weit aufgerissenen Augen ansah. Es war, als flehte sie dich an, ihr zu helfen, egal wie! Aber du konntest nichts tun, und deine Hilflosigkeit machte dir schwer zu schaffen. Irgendwann sagtest du: »Ich lasse dich kurz allein«, und ranntest ins Bad, um ein paar Kleenex zu holen und ihr den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    Inzwischen war auch Papa aufgetaucht. Er wollte nur kurz nach Selvaggia sehen, aber du empfandst ihn als Eindringling: Wenn nicht einmal du, der du ihr am nächsten standst, wusstest, was dieses wunderbare Geschöpf hatte, würden eure Eltern erst recht nichts kapieren. Deshalb empfandst du das mehr oder weniger als Affront. Am liebsten hättest du sie angeschrien, ihnen befohlen zu verschwinden und sie in Ruhe zu lassen. In der Zwischenzeit versuchtest du, Selvaggia mit liebevollen Worten zu trösten, allerdings ohne zu wissen, ob du das ihr oder vielmehr dir zuliebe tatst. Du sagtest, sie solle sich keine Sorgen machen, das sei bestimmt nichts Schlimmes, bald werde die Übelkeit verschwinden, und schon am Abend würdet ihr gemeinsam darüber lachen.
    Â»Ich rufe meine Ärztin an«, sagte eure Mutter und ging aus dem Zimmer, um das Handy zu suchen, das sie bereits in der Hand hielt. »Es bringt schließlich nichts, hier rumzustehen und zuzusehen, ohne zu wissen, ob es was Ernstes ist oder nicht.«
    Hätte Selvaggia nicht eine Nervosität gezeigt, die fast schon an Hysterie grenzte, hätte eure Mutter die Sache bestimmt auf sich beruhen lassen, und Selvaggia wäre nach wenigen Tagen wieder ganz die Alte gewesen. »Nein«, beharrte Selvaggia. »Nein, es ist nicht weiter schlimm, wirklich, ich will nicht!« Sie versuchte ihr Gesicht zu verbergen und klammerte sich noch mehr an deine Hand. Du warst entsetzt, ließt sie nicht aus den Augen und schwiegst bedrückt, suchtest vergeblich nach einer Erklärung.
    Â»Ludovica, meine Ärztin, wird gleich hier sein, und dann wissen wir mehr«, insistierte eure Mutter und kehrte mit dem Handy ins Zimmer zurück. Selvaggias einzige Reaktion bestand darin, zu weinen und dich in tiefe Verzweiflung zu stürzen.

76
    Fünfundzwanzig Minuten später traf diese Ärztin ein, die zu gleich eine Freundin euer Mutter war: mit schicker Perlenkette, Ohrringen und elegant gekleidet. Ludovica war eine relativ vollbusige Frau um die Vierzig, die Gediegen- und Geborgenheit ausstrahlte. Eure Mutter und die Ärztin wechselten ein paar Worte, aber du bekamst
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