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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe
Autoren: Gaia Coltorti
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dir, dass es besser war, dich nicht von der Stelle zu rühren.
    Da war er, direkt vor deinen Augen, der finstere Scheideweg: Wenn du zu ihr gingst, würdest du immer bei ihr bleiben und alles akzeptieren, was diese Entscheidung mit sich brachte. Und wenn nicht, könntest du schnell einen Koffer packen und abhauen, alles dem Zufall überlassen, ohne dich deiner Verantwortung zu stellen. Einen Moment lang hieltst du Letzteres für die einzige Lösung. Aber du musstest dich entscheiden, und zwar schnell, denn schon bald würden eure Eltern die Treppe hochkommen.
    Du starbst schier vor Angst, vor namenloser Zukunftsangst. Wenn du jetzt flohst, würdest du eure Beziehung verleugnen. Du wusstest nicht, inwiefern das ihr Leben zerstören würde. Solltest du dich in Sicherheit bringen und ohne allzu große Skrupel verschwinden? Aber was würde dann aus ihr? Und wie solltest du je wieder den Mut finden, zu ihr zurückzukehren? Wenn du sie jetzt im Stich ließt, dann für immer!
    Andererseits könntest du dir so vieles ersparen. Kurz zogst du das ernsthaft in Erwägung, hieltst die Idee für gar nicht mal so schlecht. Doch gleichzeitig regte sich dein Ehrgefühl: Wie konntest du es wagen, ihr das anzutun? Nach all den Schwüren, nach allem, was ihr zusammen durchgemacht hattet, nach all der Liebe, die sie dir geschenkt hatte, konntest du ihr doch nicht einfach so den Rücken zukehren? Niemals! Dann lieber sterben! Mit einer solchen Schuld konntest du nicht leben – nicht wenn dir das Wort »Schuft« auf die Stirn geschrieben stand.
    Wie solltest du mit den nächtlichen Gewissensbissen fertigwerden, die aus den Tiefen deiner Seele emporsteigen würden, um dich daran zu erinnern, wie feige du dich diesem Mädchen gegenüber benommen hattest, das jetzt zur Frau geworden war – der Frau gegenüber, der du einst ewige Liebe geschworen hattest? War deine Liebe tatsächlich so schwach? Liebtest du sie nur, solange dein Orgasmus dauerte? Nein, du liebtest sie für immer! Du könntest es einfach nicht ertragen, nie mehr in ihr geliebtes Gesicht zu blicken oder miterleben zu müssen, wie sehr sie dich hasste, wenn ihr euch je wiederbegegnen solltet.
    Ließt du sie nicht im Stich, konntest du immer noch so tun, als wärst du nicht der Kindsvater und zu Hause wohnen bleiben. Aber wie sollte diese Schmierenkomödie funktionieren? Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse war es bestimmt das Beste, eure Beziehung zu beichten und abzuhauen, um nicht getrennt zu werden. Denn das würde man sicherlich versuchen. Eigentlich solltet ihr selbst bestimmen dürfen, was ihr mit eurem Leben anfangen wolltet. Inzwischen wart ihr immerhin volljährig! Rein rechtlich konntet ihr euch überall aufhalten. Sogar verschwinden und für immer frei sein! Alles Weitere würdet ihr dann schon sehen. Und trotzdem warst du angesichts dieses inneren Zwiespalts, dieses Scheidewegs, hin und hergerissen.

77
    Mit wachsender Entschlossenheit die wenigen Schritte bis zu ihrem Zimmer gehen, mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Sehen, wie Selvaggia auf dem Bett lag und aus dem Fenster sah – die Hände auf dem Bauch, das Gesicht tränenüberströmt.
    Â»O Johnny, ich …«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
    Â»Ich weiß! Ich weiß!« Du nahmst sie in die Arme und versuchtest, ihren unheilbaren Schmerz zu lindern – wenigstens ein bisschen.
    Â»Und jetzt?«, sagte ihre Stimme.
    Â»Was wollen wir Mama und Papa sagen?«
    Auf einmal merktest du, dass du eine Riesenangst hattest: Angst vor der Reaktion eurer Eltern, eine undefinierbare Angst vor der Zukunft und vor dem, was euch noch alles bevorstand.
    Eure Eltern würden nichts unversucht lassen, um euch zu trennen, und das würde auch ihre Beziehung zerstören, die sie nach einer halben Ewigkeit gerade erst wieder gekittet hatten … Aus reinem Egoismus, aus purer Wollust und Genusssucht hattet ihr letztlich eine ganze Familie zerstört …
    Â»Ich halte zu dir«, sagtest du zu Selvaggia. »Ich werde dich niemals verlassen, egal was passiert. Egal was du von mir verlangst – ich werde es tun.« Dann brachst du unter der enormen Last dieser Tragödie in Tränen aus.
    Ihr hattet allzu großes Glück erleben dürfen und dabei gar nicht gemerkt, dass ihr euch mit der ganzen Welt anlegtet und dafür teuer würdet
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