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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden
Autoren: Melanie Meier
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dass dein Verstand keine Antwort weiß«, erwiderte Hora, öffnete beide Augen und setzte sich auf. »Damit sind wir an die Grenzen deiner Wahrnehmung gestoßen, mein Freund. Ich würde sagen, wir beenden die heutige Stunde. Du wirst darüber nachdenken und mir morgen antworten.«
    Chest klappte seinen Block zu, stand auf und sah sich urplötzlich Hora gegenüber. Er hatte gar nicht gesehen, dass sein Mentor auf die Beine gekommen, geschweige denn, dass er um das Pult getreten war.
    Hora war sehr viel schlanker als er selbst und einen Kopf größer. Chest konnte beinahe spüren, welch kämpferisches Talent in diesem Körper steckte. Kämpferisches Talent und etwas anderes – etwas undefinierbar Dunkles, Unbegreifliches.
    In diesem Moment wusste er die Antwort. Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen, während er Hora in die Augen starrte.
    ›Ich konnte dein Talent im Kampf erkennen, weil ich es selbst in mir trage‹, dachte Chest, ›aber dieses andere, was dich auszeichnet, spüre ich zwar, doch benennen kann ich es nicht, weil ich dieses Talent nicht selbst habe.‹
    Hora lächelte zufrieden, drehte sich um und verließ das Klassenzimmer.

* * *

    »Das ist also Kiel«, sagte Tim, als sie aus dem Bahnhofsgebäude traten.
    Loki machte seinen üblichen Rundumblick, deutete schließlich auf den Taxistand und ging los. »Noch nie hier gewesen?«
    »Nein.«
    »Dann freu dich auf einen merkwürdigen Dialekt, Fischgestank und frische Brisen vom Meer. Wobei ich nicht weiß, ob der Fischgestank allein vom Meer herrührt.« Loki öffnete die Beifahrertür eines Taxis und sah den Fahrer an. »Kennen Sie die Veden-Schule draußen in der Nähe des Mönkeberger Sees?«
    Der Taxifahrer deutete auf das Navigationsgerät, das über dem Radio thronte. »Noch nie gehört. Aber kein Problem, wenn Sie die Adresse haben.«
    Loki zeigte auf seinen Koffer, ließ die Tür offen und ging um den Wagen herum. Er öffnete den Kofferraum, hob seinen Rollkoffer hinein und überließ es Tim, den Kofferraum wieder zu schließen. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und nannte dem Fahrer die Adresse. Zwanzig Minuten später stiegen sie aus dem Taxi und sahen sich dem weitläufigen Schulgelände gegenüber, das sich vor ihnen mit einem hohen, gusseisernen Tor auftat.
    Das Taxi fuhr davon. Loki und Tim standen mit ihren Koffern auf der Zufahrtsstraße und blickten sich um. Außerhalb der Mauer, die das Gelände eingrenzte, nichts als Natur. Der See lag hinter ihnen, die Schule befand sich weiter im Niemandsland, als Tim angenommen hatte.
    Er warf Loki einen Seitenblick zu, betrachtete die aufrechte Gestalt seines Cousins, der mit den Händen in den Hosentaschen dastand und die Nase in die Luft reckte, und nestelte an seinem Krawattenknoten herum. »Ich hasse Anzüge«, sagte er. »Ich komme mir vor, als hätte ich mich verkleidet.«
    »Das hast du auch.« Loki erwiderte Tims Blick und griff nach seinem Koffer, zog den Henkel heraus, mit dem sich das Gepäckstück ziehen ließ. »Dann mal los, mein Lieber. Werfen wir uns ins mysteriöse Treiben dieser Bildungsstätte.«
    Tim packte seinen eigenen Koffer und folgte Loki. Die Straße ging am Tor in Pflastersteine über, die gepflegt aussahen. Vor ihnen erhob sich inmitten kleinerer Bauten das Schulgebäude, ragte über allen anderen auf und verströmte eine Aura aus Ewigkeit, Würde und Reichtum.
    »Faszinierend, nicht wahr«, sagte Loki. »Eine Reise durch die Zeit. Das Schulgebäude entstammt der klassizistische Architektur der Renaissance. Siehst du die Säulen und deren Kapitelle? Typisch für die damalige Zeit. Du erinnerst dich natürlich daran, dass in der Akte stand, die Schule sei um fünfzehnhundert gegründet worden?«
    »Klar.«
    Loki nickte nach rechts hinüber, zu einem Brunnen, der von einer weitläufigen Rasenfläche umgeben war. »Der kam später hinzu. Eindeutig Barock, geprägt vom niederländischen Stil. Viel zu überladen, wenn du mich fragst.«
    »Eindeutig.«
    »Und die Gebäude außen herum, die Wohnhäuser, wurden noch später erbaut. Jugendstil. Geradezu scheußlich.«
    »Ganz meine Rede.«
    Loki lächelte. »Natürlich. Ah, sieh an, wir werden erwartet!«
    Ein junger Mann lief die Stufen vom Hauptgebäude herunter und kam über den Platz auf sie zu. Sein Gang hatte etwas federndes, kraftvolles. Er blieb vor ihnen stehen und lächelte. »Sie sind die Inspektoren vom Schulamt, nehme ich an?«
    »Ganz recht. Von Schallern, und das hier ist Herr Jung.« Loki streckte
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