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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden
Autoren: Melanie Meier
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Nie zuvor hatte sie so geschrien, aber es schreckte die Gestalt nicht ab. Die brachte ihren Kopf näher an ihren heran, entblößte vergilbte, verrottete Zähne, die sich senkten. Als die Irre anfing, ihr Fleischstücke aus dem Hals und der Schulter zu beißen, verlor sie das Bewusstsein.

* * *
    Die Schritte kamen schlurfend. Es hörte sich so an, als schleppe sich jemand mit einer schweren Last die Stufen herauf, vielleicht mit hundert Kilo zu viel oder einem nassen Sandsack auf dem Rücken.
    Loki steckte die Beine aus, lehnte den Kopf zurück in das Polster des Sessels und drehte den Ton der Anlage lauter. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der nasse Sandsack im Türrahmen stehen blieb.
    »Warst lange weg«, sagte Loki und drehte den Kopf.
    Sein Gegenüber war von oben bis unten klitschnass, die Hose bis über die Knie voller Schlamm, im Gesicht mischten sich die Substanzen.
    »Du elender-«
    »Bleib bloß, wo du bist! Trag den Dreck nicht auch noch ins Wohnzimmer.«
    Tim machte einen Schritt vor und hob die geballte Faust. »Schau dir das an!« Er sah an sich hinunter und ließ die Faust sinken. »Der Kerl hat mich über einen frisch gedüngten Scheißacker gejagt! Er hatte eine Schrotflinte! Eine gottverdammte Schrotflinte! Ich musste mich in den Fluss retten und ein ganzes Stück schwimmen! Mir sind die Kugeln um die Ohren-«
    »Halt die Luft an, Johnny. Geh duschen. Wir haben nicht viel Zeit.«
    »Nicht viel.« Tim verstummte, zog tief Atem ein. »Er ist mir entkommen.«
    »Natürlich.«
    » Natürlich ? Warum natürlich?«
    Loki legte den Kopf wieder zurück ins Polster und schloss die Augen. Einige Momente blieb er still so sitzen. »Hörst du das? Wie der Bass im Panorama gelegt wurde? Wie er von links nach rechts und zurückgleitet, immer wieder? Wenn man sich das über Kopfhörer reinzieht, hat man das Gefühl, ein Schnellzug rase einem durchs Gehirn.«
    »Scheiß auf deinen Schnellzug! Was hast du getrieben, während ich ums Überleben gekämpft habe?«
    »Ich habe den Fall gelöst, Johnny.«
    »Nenn mich nicht so.« Wieder schloss Tim den Mund, presste die Lippen aufeinander. Einige Sekunden starrte er Loki an, der weiterhin mit geschlossenen Augen in seinem Sessel saß, dann drehte er sich um und verschwand im Badezimmer.
    Loki öffnete die Augen, starrte an die Wand. Er saß genau in der Mitte zwischen den Standboxen und damit direkt gegenüber des Downfire-Subwoofers, sodass er den Bass der Elektromusik in seiner ganzen Fülle auskosten konnte. Nach einer Weile griff er auf dem Tischchen neben sich nach den Zigaretten, zündete sich eine an und trank einen Schluck von seinem Wein. Er rauchte, trank und genoss die Vibrationen der Musik, bis die Tür zum Badezimmer wieder aufging.
    Loki schaltete die Anlage mit der Fernbedienung aus, stand auf, stopfte sich die Zigaretten in die Hosentasche, griff nach der Heckler & Koch P2000, die er auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hatte, und schob sie in das Holster an der Hüfte.
    Tim tauchte wieder im Türrahmen auf, in frischer Kleidung und mit nassen Haaren. »Frau Neumann wird sich freuen«, sagte er mit Blick auf die Schlammspuren, die seine Schuhe im Hausgang hinterlassen hatten.
    »Das ist sie doch mittlerweile, nach vier Jahren als Haushälterin bei mir, gewöhnt. Komm jetzt, wir müssen los.«
    »Ich bin doch gerade erst-«
    »Hast du die Adresse des Junkies?«
    Tim blinzelte. »Äh, klar. Gespeichert in meinem Handy.«
    »Dann los.« Loki ging an ihm vorbei, griff sich im Flur seine Lederjacke und marschierte, den Schlammspuren ausweichend, aus der Wohnung.
    »Mann, ich hab den ganzen Tag noch nichts gegessen!«, rief Tim hinter ihm her. »Es ist fast Mitternacht!«
    Loki ging die Straße hinunter. Das Licht der Laternen zeichnete milchige Bahnen in sein dunkles Haar. Er kramte in seiner Jackentasche, und als Tim neben ihm auftauchte, drückte er ihm einen halb aufgegessenen Schokoriegel in die Hand.
    »Soll das ein Witz sein?« Tim wickelte den Riegel aus. »Da klebt Tabak dran. Und irgendwas anderes. Was ist das? Tempofetzen? Wie alt ist das Ding?«
    »Maximal ein halbes Jahr, minimal zwei Wochen.«
    »Schleppst du den schon so lange mit dir rum?«
    Loki warf ihm einen Seitenblick zu. »Dann wüsste ich exakt, wie alt er ist. Außerdem esse ich so etwas nicht.«
    »Woher ist er dann?«
    »Ich habe ihn letzte Woche bei der Leiche sichergestellt.«
    Tim blieb stehen, starrte auf Lokis sich entfernenden Hinterkopf, sah auf den Riegel hinunter und ließ ihn
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