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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha
Autoren: Philipp Vandenberg
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Kabinentür. Mit seinem Kleiderbündel unter dem Arm erreichte er nach ein paar Schritten die Treppe zum Oberdeck.
    Mitternacht war längst vorüber, und er sog die kalte Meeresluft tief in seine Lungen. Rodriguez Bericht hatte ihn aufgewühlt und die ausweglose Situation, in der er sich befand, in den Hintergrund gedrängt. In geduckter Haltung erreichte Gropius das Rettungsboot und schlüpfte unter die Persenning.
    An Schlaf war trotz ruhiger See nicht zu denken. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Am Ende gewann ein Gedanke die Oberhand: Wie würde dieser wahnsinnige Mazara reagieren, wenn er sich stellte? Bisher hatte ihn die Annahme, er, Gropius habe die Akte Golgatha in seinem Besitz, vor Schlimmerem bewahrt. Aber nun, da Mazara und seine Ordensleute enttarnt waren, da er sich selbst in die Höhle des Löwen gewagt hatte, musste er befürchten, dass dieser Verrückte unberechenbar reagierte. Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Dilemma zermarterte er sich das Gehirn, ohne einer Lösung näher zu kommen.
    Ängstlich lauschte er der Monotonie fremdartiger Geräusche, als er plötzlich auf Deck schnelle Schritte vernahm. Vorsichtig schob Gregor die steife Persenning beiseite. In der Dunkelheit erkannte er drei Männer im Overall, die sich an verschiedenen Stellen des Schiffes zu schaffen machten. Ein vierter stand, groß und hager, im Bug des Schiffes postiert, eine Maschinenpistole im Anschlag.
    Zunächst fand Gropius keine Erklärung für das Verhalten der Männer, die mit traumwandlerischer Sicherheit, so als hätten sie ihr Vorhaben hundertmal geübt, ihrem Job nachkamen. Ein dumpfes, kaum hörbares Grollen veranlasste Gregor, sein Augenmerk auf die dunkle See zu richten, von der das unidentifizierbare Geräusch kam. Für Augenblicke glaubte Gregor die Umrisse eines schnittigen Powerboats zu erkennen, das im Abstand von etwa zweihundert Metern neben der ›In Nomine Domini‹ herfuhr. Was hatte das zu bedeuten?
    Je länger die Aktion dauerte, desto unruhiger wurde der Wachposten mit der Maschinenpistole. Schließlich begann er, seine Waffe nervös nach links und rechts schwenkend, vor dem Kajütenaufbau des Schiffes auf- und abzugehen. Wenige Schritte von Gropius' Versteck entfernt, hielt er inne. Im Flüsterton und mit gepresster Stimme gab er einem seiner Männer ein nicht verständliches Kommando. Dann drehte er sich mit einem heftigen Ruck um. Gropius sah, wie er den Lauf der Maschinenpistole direkt auf ihn richtete. Eigentlich konnte der Mann ihn nicht gesehen haben, aber Gropius kletterte in panischer Angst mit erhobenen Armen aus seinem Versteck. Er hörte das kalte Klicken, als der Unbekannte seine Waffe entsicherte. Mit geschlossenen Augen erwartete Gropius den Aufschlag der Geschosse auf seiner Brust. Er stand starr, bewegungslos, unfähig für jede Empfindung. Das, dachte er, ist das Ende.
    Warum drückte er nicht ab? Gropius wartete, harrte eine kleine Ewigkeit, wünschte, dass es endlich vorbei wäre. Warum schoss der Mann nicht?
    Zögernd öffnete Gropius schließlich die Augen und blickte in ein bekanntes Gesicht.
    »Prasskov, du?«
    Eine Zeit lang standen sich die ehemaligen Freunde gegenüber. Prasskov war nicht weniger geschockt als Gropius. Der fand als Erster die Sprache wieder.
    »Was läuft hier eigentlich ab?«, fragte er mit flüsternder, dünner Stimme. Er hoffte, Prasskov würde nicht bemerken, dass er am ganzen Leib zitterte. »Ich dachte, du bist Schönheitschirurg und kein Gangster«, legte er nach.
    Inzwischen hatte sich auch Prasskov von der unwirklich scheinenden Begegnung erholt. Tonlos erwiderte er: »Wie du siehst, schließt das eine das andere nicht aus. Aber was hast du mit diesen Brüdern zu schaffen?«
    »Nichts, gar nichts«, antwortete Gropius, »ich wollte nur den Orden kennen lernen, der so viele Menschen auf dem Gewissen hat.«
    Prasskov grinste hämisch: »Da können wir uns zusammentun! Wir sind hier, um den Leuten ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Die Brüder sind schlecht fürs Geschäft.«
    »Was soll das heißen?«
    Mit der Maschinenpistole im Anschlag drehte sich Prasskov vorsichtig um die eigene Achse und musterte dabei jeden Winkel des Schiffes. Schließlich erwiderte er gelassen: »Die Zahl der Transplantationen ist dramatisch zurückgegangen. Die Leute haben Angst vor verseuchten Organen. Viele potenzielle Organempfänger meinen, sie stürben lieber eines natürlichen Todes als an einem vergifteten Fremdorgan. Und das bedeutet: weniger
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