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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt
Autoren: Will Berthold
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Sie hatten geflucht und gestürmt, gebetet und getötet, gesungen und gesoffen, gemault und gesiegt- und viele waren schon gefallen, bevor sie noch wußten, wie man ein Mädchen in den Arm nimmt. Sie waren gefahren, getippelt, gerobbt und gekrochen. Sie hatten Blasen an den Füßen, Schwielen an den Händen, Leere im Hirn und Paris in der Tasche.
    Es war der 20. Mai 1940, Frühling – aber in der Luft schwang nicht der verwirrende Duft der Blüten, sie stank nach Pulvergas, nach Verwesung. Der deutsche Überraschungsangriff hatte Holland überrannt und Belgien kassiert; der gepanzerte Stoßkeil feldgrauer Kolonnen überflutete Nordfrankreich, trennte die Franzosen von den Engländern und drängte jetzt ungestüm zur Kanalküste weiter.
    Eine Panzerjagd-Einheit der von General Rommel geführten 7. P.D. stoppte heute befehlsgemäß in dem kleinen Dorf bei Arras und bezog endlich Quartier, vielleicht nur für Stunden. Auf der Speisekarte des Blitzkrieges standen: Handstreiche aus der Luft, Panzerangriffe aus der Flanke, ausgeräucherte Bunker und heulende Stuka-Angriffe, aber es waren nur für die Taktik-Lehrer der Kriegsschulen Delikatessen, die Landser zeigten sich froh über einen warmen Schlangenfraß aus der Feldküche.
    »Denn das«, pflegte der Gefreite Kleebach weise zu sagen, »ist immer noch besser, als ins Gras zu beißen …«
    Er schob mit seinem Kumpel, Kameraden und Freund Böckelmann Doppelposten vor dem requirierten Schulhaus.
    Allmählich ging der Tag in die Nacht über. Und mit der Dunkelheit kam die Stille in das idyllische Dorf, das vielleicht morgen schon ein Trümmerhaufen sein würde. Seine Bewohner durften ihre Häuser nicht verlassen; auch die deutschen Soldaten hatten in ihren Unterkünften zu bleiben, und so lebten die Menschen miteinander, doch getrennt voneinander im stählernen Käfig der ›großen‹ Zeit.
    Von drüben, aus der Nacht, in die sich der Feind gewickelt hatte, kam ein matter Windstoß und spielte mit den Blättern der üppigen Kastanie auf dem Schulhof, unter deren Krone die Fahrzeuge der Kompanie standen: vier Sturmgeschütze auf Selbstfahrlafetten, zwei LKWs, ein Schützenpanzerwagen und eine französische Beute-Pak. Jetzt, da die kalten Ungeheuer reglos und stumm nebeneinander standen wie satte Kühe auf der Weide, verloren sie ihren Schrecken, als könnten sie sich der friedlichen Stimmung anpassen.
    Motoren haben es gut, dachte der Gefreite Gerd Kleebach, sie lassen sich einfach abstellen. Aber das Herz schlägt weiter, im Takt der Strapazen, und die Nerven vibrieren noch im Sud der Erregung; man ist müde und kann nicht schlafen, hungrig und will nicht essen. Wie ein Schwungrad, überlegte der 20jährige Abiturient weiter, das sich noch im Leerlauf weiterdrehen muß …
    »Noch 'ne halbe Stunde bis zur Ablösung«, sagte der Gefreite Böckelmann zu ihm. »Hast du heute Post gekriegt?«
    »Ja«, versetzte Kleebach, »von zu Hause … aber schon drei Wochen alt …«
    »Schlamperei!« fluchte Böckelmann, »beschwer dich doch … dein Vater ist ja Postminister …«
    »Nee … Postbote«, erwiderte Kleebach lachend. Er sah prüfend nach oben und nickte befriedigt. »Wird ein schöner Tag morgen«, sagte er voraus, »prima für die Schlipssoldaten von der Luftwaffe.«
    »Ja«, Böckelmann deutete Richtung Feind, »die Tommy-Panzer wagen sich morgen nicht aus ihren Rattenlöchern … die Stukas halten sie uns von der Pelle.«
    Dann standen sie nebeneinander und starrten in die Nacht. Nichts rührte sich. Jetzt wirkten die Häuser mit ihren hohen Dächern und niederen Fenstern unwirklich und verzaubert wie im Märchen.
    »Wie weit ist es eigentlich noch bis nach Paris?« fragte Böckelmann.
    »So an die drei Wochen«, antwortete sein Freund lächelnd.
    »Dussel … ich meine, wie viele Kilometer?«
    »Dreihundert oder vierhundert vielleicht …«
    »Muß 'ne tolle Stadt sein …«
    »Wirst's erleben.«
    »Hoffentlich, Mensch«, entgegnete Böckelmann, »und dann die Frauen, was? … So schwarzhaarige Dinger.«
    Er zeichnete mit den Händen Konturen in das Nichts.
    »Auf dich haben sie nicht gewartet«, erwiderte Kleebach.
    »Auf dich auch nicht«, antwortete der Kumpel, »aber die gewöhnen sich schon an uns … meinst du nicht?«
    »Kann sein.« Kleebach war zerstreut.
    »Na …«, träumte Böckelmann weiter, »wenn wir erst in Paris sind … zuerst schlafe ich zwei Tage … dann eine Stunde Badewanne, dann einen Eimer Pudding, dann ein halbes Faß
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