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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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war gerettet worden.
    In dem Maße, wie sich die Rauchschwaden verzogen, wurde das Ausmaß des Schadens deutlich. Die Rosländer-Werft hatte aufgehört zu existieren.
    Anna Rosländer, die wenige Minuten nach dem Alarm erschienen war, umrundete das Gelände. Es gab nichts zu besichtigen als Hitze, Ruß und Wasserlachen. Annas Begleiter schwiegen, niemand wollte der Erste sein, der sich mit einer Äußerung hervorwagte, die der Witwe missfallen könnte. Andererseits sah Anna nicht so aus, als wäre sie momentan von Wortmeldungen zu erreichen.
    Langsam zog der Rauch zur Stadt hinüber. Vom Meer setzte sich die Sonne des späten Herbstnachmittags durch.
    Hunderte Bürger waren in den Hafen gekommen. Erstaunlich, wie leise eine so große Menge sein konnte. Jetzt, wo geschehen war, worüber seit vielen Wochen gemunkelt worden war, fühlten sich alle bedrückt. Wer sprach, tat es leise mit seinem Nachbarn. In dieser Minute äußerte sich niemand darüber, was die Brandstiftung für die Stadt und das Zusammenleben der Bewohner bedeuten mochte. In dieser Minute war man erleichtert, dass es keine Opfer zu beklagen gab. Bis auf Schnabel natürlich, aber der Reeder war in gewisser Weise schon vorher tot gewesen. Seine traurige Existenz hatte nur noch ihren Endpunkt finden müssen. Schon in diesen Minuten begann man, ihn verantwortlich zu machen, ihn allein, und zur Not seine Frau. Noch waren zu wenige Einzelheiten bekannt. Jedenfalls verschaffte es Erleichterung, die Krise in den kleinen Raum einer Familie hineinzupressen. Dort war sie gut aufgehoben, überschaubar und … tragisch. Tragisch wurde zum Wort dieser Minuten. Alles war tragisch: die Brandstiftung, der rasende Reeder, die verlogene Frau und ihr Ende. Tragisch war das Schicksal der armen Kinder, die in die Obhut von Verwandten gegeben worden waren. Tragisch wäre auch Regula Schnabels Schwangerschaft genannt worden, aber das Wissen darum ging nicht über Trine Deichmann und eine Handvoll Vertrauter hinaus.
    Je stärker der sanfte Wind die Rauchschwaden zur Stadt schob, umso besser wurde die Sicht und umso klarer die Erkenntnis, wie groß die Zerstörungen waren. Im Hafen war Krieg ausgebrochen. Schlimmer hätten auch die Schweden nicht marodieren können. Der Krieg war kurz und heftig ausgefallen, jetzt war er vorüber. Jeder Krieg kannte Sieger und Verlierer. Wer hatte gewonnen, wer war unterlegen? Darüber herrschte kein Zweifel.
    »Davon wird sie sich nicht erholen.«
    »So viel Geld hat auch eine Rosländer nicht, um noch einmal von vorn anzufangen.«
    »Es ist nicht nur eine Sache des Geldes. Es geht auch um die Nerven. Sie ist nicht mehr die Jüngste.«
    »Habt ihr schon gehört: Der Holzhändler hat ihr das Herz gebrochen.«
    »Das Beste ist, sie geht nach Stralsund zurück, wo sie herkommt.«
    Erst war es nur ein Blick, scheu, kurz, unauffällig. Es war der erste Blick, der die Witwe nicht nur streifte, sondern prüfend auf ihr verweilte. Ein zweiter Blick leistete dem ersten Gesellschaft, ein dritter schloss sich an. Bald waren es zehn, dann 20, am Ende vergrößerte sich der Menschenkreis um Anna Rosländer, damit die vielen Blicke, die bisher nicht ihr Ziel erreicht hatten, freien Raum und freie Sicht hatten. Etwas lag in der Luft: die Ankündigung der Witwe, ihre Zelte in Lübeck abzubrechen. Anna Rosländer hatte es in der Hand, den Lübeckern ihre Ruhe zurückzugeben. Sie stand in der Pflicht, denn ohne sie wäre es nicht zu den Zuspitzungen gekommen. Durch Anna Rosländers Verhalten war ein Feuer entstanden, dem beinahe der Hafen zum Opfer gefallen wäre. Wie weit wollte sie es noch treiben? Musste er erst …?
    Ein Schuss! Beängstigend laut, mächtig, nahe. Das war eine Kanone gewesen, keine Pistole wäre imstande gewesen, solch satten Lärm zu erzeugen. Die Menschen blickten sich noch überrascht an, als der nächste Böller ertönte.
    »Die Schweden! Die Schweden greifen an!«
    Das war so aberwitzig, dass niemand darauf einging. Aber ein Kanonenschuss war es gewesen, sogar zwei.
    Und dann drei.
    Die Böller kamen vom Meer. Wäre doch nur der Rauch dünner gewesen! Hätte er sich nur schneller verzogen! Die Menge wich zurück. Nur fünf oder zehn Schritte, die Bewegung ging wie eine Welle durch die vielen Menschen. Solange man nicht wusste, was die Schüsse zu bedeuten hatte, wollte man auf der sicheren Seite sein.
    Im nächsten Moment stach der Leib eines Schiffes durch den Rauch, schob sich Meter für Meter aus dem Rauchvorhang die Trave hinauf.
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