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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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Schnabel lässt sich nichts schenken.«
    Anna bewegte sich nicht. »Was ist das da auf Eurem Schwert?«
    »Was? Ach, das. Das ist nur ein Stück Papier, wertlos und nicht von Interesse.«
    »Mir kommt es so vor, als wäre das ein Schuldschein.«
    »Kommt Euch so vor, ja? Sieh mal an, kommt ihr so vor. Kluge Anna, klug wie der werte Gatte.«
    »Wie kommt Ihr an den Schuldschein? Den dürft Ihr gar nicht haben. Den hat Eugenie.«
    »Ihr müsst das französisch aussprechen!«, röhrte er mit neu gewonnener Kraft. Er bemühte sich, den Namen französisch auszusprechen und geriet darüber in grelles Gelächter.
    »Eugenie hat Euch den Schein bestimmt nicht freiwillig gegeben. Geht es Ihr gut?«
    »Woher soll ich das wissen? Glaubt Ihr, ich gebe mich mit Abschaum ab? Könnt Ihr nicht aufhören, die Schnabels zu beleidigen?«
    »Ist das Blut von Eugenie, das ich an Eurer Kleidung sehe? Schnabel, habt Ihr ein Verbrechen begangen?«
    »Warum nicht? Wer Schulden hat und eine verlogene Frau, kann zum Verbrecher werden. Ist ein kleiner Schritt.« Er spuckte aus, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er sah furchtbar aus und sagte: »Ich will nichts geschenkt. Ihr habt Euer Geld.«
    »Es gehört mir nicht«, entgegnete Anna. »Es gehört Eugenie. Wo ist sie?«
    In pantomimischer Übertreibung blickte sich Schnabel um. »Ja, wo ist sie denn?«, rief er. »Ich sehe sie auch nicht. Will wohl ihr Geld nicht haben. Dann müsst Ihr es doch nehmen, Witwe Rosländer.«
    Er zog den Schein von der Klinge und ließ ihn auf den Boden fallen.
    Er rief: »Richtet Eurem neuen Liebsten einen Gruß vom Reeder Schnabel aus. Ich war immer sehr zufrieden mit seinem Holz. Aber noch zufriedener war ich mit seinem Einsatz bei der Witwe Rosländer. Wir waren alle zufrieden.«
    Anna spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht stürzte.
    »Was meint Ihr damit?«, fragte sie.
    »Fragt Euren Liebsten. Ich habe Wichtigeres zu tun.«
    Schnabel packte das Schwert, richtete es gegen sich. Das Schwert war zu lang, mit beiden Händen griff er in die Klinge, zwei Männer sprangen los. Sie waren bei Schnabel, bevor er sich töten konnte. Sie warfen ihn zu Boden, aus eigener Kraft stand er nicht mehr auf.

54
    Als die ersten beiden Schuldner in die Gasse einbogen, die zur Kanzlei führte, wurden sie von 200 Menschen erwartet. Die Menge ließ eine Gasse frei, damit die Schuldner passieren konnten. Der dritte ging auch noch hindurch, ihm folgte kein bekanntes Gesicht mehr, denn die übrigen Schuldner schickten Boten, Diener, Angestellte.
    Von den Landstreichern ließ sich keiner vertreten. Frohgemut die einen, ernst und konzentriert die anderen, tauchten sie in Gruppen auf. Man begrüßte sie mit Beifall, sie winkten zurück und verschwanden in der Kanzlei.
    Dort ging es zu wie in einer Wechselstube. Die eingehenden Gelder wurden entgegengenommen, gezählt und quittiert. Die zu den Geldern gehörenden Schuldscheine wurden entgegengenommen, den Rückzahlern übergeben, die den Empfang quittierten. Mehrere Augenzeugen bestätigten schriftlich, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei.
    Theuerkauff hatte sich der Dienste von zwei Männern versichert, die dafür bekannt waren, handgreifliche Streitereien wirkungsvoll zu unterbinden. Sie verbrachten einen ruhigen Tag, es kam zu einem einzigen Zwischenfall, der sich schnell auflöste, denn Vinzenz Nawka umarmte den Ratsherrn Voigt nicht, um ihn zu würgen. Er war einfach gerührt und weinte an der Schulter des zwei Köpfe kleineren Voigt, den er zu einem Essen mit anschließendem Besäufnis einlud, was Voigt empört ablehnte, um fünf Minuten später auf das Angebot zurückzukommen.
    »Steht Eure Einladung noch?«, fragte er schüchtern den Nawka und zog mit ihm Richtung Hafen, wo Voigt eine der längsten Nächte seines Lebens bevorstand. Als er die Kanzlei verließ, konnte er nicht wissen, dass er drei Tage brauchen würde, um sich von dem Gelage zu erholen.
    Theuerkauff war es, der den Stadtstreichern das Geld überreichte. Dies war der heikelste Moment, denn in diesem Augenblick war es mit der Selbstbeherrschung der meisten Obdachlosen vorbei. Mehr als die Hälfte hatte schon im Kindesalter jeden Halt durch ihre Familie verloren oder nie eine Familie besessen. Aber auch die drei oder vier, die eine Phase erlebt hatten, in denen es ihnen nicht schlecht gegangen war, begannen zu zittern. Die Blicke wurden unstet, die Stimme wurde brüchig oder versagte ganz. Der eine oder andere bejubelte seinen neuen Wohlstand, roch an
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