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Diamantenschmaus

Diamantenschmaus

Titel: Diamantenschmaus
Autoren: Pierre Emme
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zwischendurch im Büro gewesen
und wieder gegangen. Früher hatte Florian immer gewusst, wo sich sein Chef
gerade befand, natürlich nur, soweit es den beruflichen Bereich betraf. Seit
ein paar Wochen hingegen sagte ihm der Alte fast überhaupt nichts mehr.
    Florian fand das mehr als ärgerlich, nicht aus
persönlicher Eitelkeit, sondern aus durchaus praktischen Überlegungen. Wie
sollte er, bei dem die Informationen meistens zentral zusammenliefen, seiner
elementaren Aufgabe, diese so rasch wie möglich weiterzugeben, nachkommen, wenn
er nicht jederzeit wusste, wo er seinen Chef antreffen konnte.
    Diese Problematik war im Zeitalter des Handys nur
schwer verständlich. Nicht aber, wenn man berücksichtigte, dass Palinski es
sich ebenso zur Gewohnheit gemacht hatte, sein mobiles Kommunikationsgerät
meistens auszuschalten. Oder noch besser, überhaupt zu Hause, im Büro oder
sonst wo liegen zu lassen.
    Während Florian so vor sich hinmurrte, meldete sich der Festnetzanschluss.
Wer rief denn auf diesem Relikt aus vergangenen Zeiten überhaupt noch an, und
dann zu dieser Stunde?
    Zu seiner größten Überraschung konnte er am Display
feststellen, dass es der eben geschmähte Mario Palinski war, der da
Kommunikation begehrte.
    »Ja, Mario«, meldete sich Florian, »was kann ich für dich
tun?« Nach 18 Uhr war es üblich, sich auch auf der offiziellen Leitung nicht
mehr mit dem gesamten offiziellen Brimborium zu melden.
    Zu seiner großen Überraschung hörte der junge Polizist zunächst
gar nichts, kurz darauf ein Rauschen und etwas entfernt eine weibliche Stimme.
Was diese zu sagen hatte, konnte er allerdings nicht verstehen.
    Zusätzlich war der Empfang von einem seltsam rhythmischen
Klopfen überlagert, dessen Ursprung sich Nowotny nicht erklären konnte.
    »Chef, Chef«, brüllte er in den Hörer, und noch einmal lauter
»Hallo, hallo, hallo.« Und mit einem herzhaften »Wer nicht will, der hat eben
schon« knallte er schließlich den Hörer zurück auf die Gabel.
    Seltsam, was sollte das? Aber das passte genau zu den
Veränderungen der letzten Monate, fand Florian. Mario Palinski wurde halt
langsam alt.

     
    *

     
    In diesem Moment verstand Palinski erst so
richtig, was ihm die Wurminzer eben erzählte. Nämlich genau das, was in dem
Artikel über den ›Hundemörder‹ gestanden hatte. Demnach war Wilhelmine die
Frau, deren Hund, vermutlich hatte es sich um die legendäre Pippi gehandelt, an
Lungenmetastasen eingegangen war, an deren Entstehung Lesonic … na
zumindest nicht ganz unschuldig gewesen sein sollte.
    Die paar Hundert Schilling Schadenersatz und die lächerliche
Bestrafung Lesonics wegen Tierquälerei mussten von ihr als arge Provokation
empfunden worden sein.
    Ihr Enkel Bernie hatte eines Tages einfach nicht mehr zusehen
können, wie seine Großmutter unter dieser Ungerechtigkeit litt. Noch dazu, wo
sie durch den lediglich eine Stiege weiter wohnenden ›Hundemörder‹ und seine
penetrante Allgegenwart tagtäglich an den Tod der geliebten Pippi erinnert
worden war.
    Wen das nicht irgendwie berührte, dem war echt nicht zu
helfen. Die Frau konnte einem eigentlich leidtun. Was für eine Befriedigung
musste ihr da der Anblick des verhassten Toten, nein, eigentlich des toten
Verhassten in der Waschküche verschafft haben?
    Man musste sich nur vorstellen, wie sie von ihrem Hund Drafi
nach oben, an den Ort gezogen worden war, den Bernie für Lesonics letzten
Auftritt ausgesucht hatte. Plötzlich hatte sie das Objekt ihrer jahrelangen
Albträume da sitzen sehen, mausetot, endlich ereilt von einem gerechten
Schicksal.
    Während Palinskis an Theatralik nicht gerade arme Gedanken
auf der instinktiven Flucht vor Frau Wurminzers minutiös genauer
Lebensgeschichte nur so dahingaloppierten, hatten sich die Finger seiner
rechten Hand wieder vorsichtig an das Rettungsfloß in seiner Jackentasche herangetastet
und die erste Kurzwahltaste gedrückt. Danach begann er, so gut ihm das möglich
war, mit dem Nagel des Mittelfingers das international übliche SOS-Zeichen auf
das Gehäuse des Handys zu klopfen. Zu morsen, wie der Fachausdruck wohl
lautete.
    Drei kurz, drei lang, drei kurz, Mario hoffte nur, dass er
sich richtig erinnerte und es nicht drei lang, drei kurz, drei lang lauten
musste.
    Halt, etwas an dem Bild, das Palinski vor Augen hatte,
stimmte nicht. Konnte nicht stimmen. Aber was war das?
    Noch einmal: Nach ihren eigenen Angaben hatte Frau Wurminzer
ihren Hund Drafi zum Äußerln ausführen wollen. Doch
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