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Dezembergeheimnis

Dezembergeheimnis

Titel: Dezembergeheimnis
Autoren: Caroline Richter
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nicht erst gestern zusammen auf dem Sofa gelegen? Noch erst vor ein paar Stunden? Oder doch Jahren?
    Sie konnte sich nicht bewegen. Eigentlich wollte sie die Knie anziehen, aber dafür war der Stuhl zu klein. Vielleicht den Oberkörper vorbeugen   … Irgendwie musste sie kleiner werden. So klein wie möglich. So weit weg wie es nur ging. Aber sie blieb einfach sitzen.
    Gerade eben hatte er noch mit ihr gesprochen. Und jetzt war er tot? Das konnte nur ein schlechter Traum sein. Das
konnte
einfach nicht wahr sein. Keine Realität war so grausam. Doch noch nie hatte sie sich in einem Traum so elend gefühlt, noch nie hatte ihr so viel wehgetan.
    Sie weinte.
    »Ach herrje«, seufzte die Bäckerin, als sie zwei dampfende Tassen auf den Tisch neben Lea stellte. »Hier, trink das.«
    »Danke, ich möchte nicht–«
    »Du solltest aber, das beruhigt.«
    Was sollte sich in ihr noch beruhigen? In ihr wütete zwar ein Sturm, aber ihr Körper fühlte sich nicht lebendiger an als Noels. Die gereichte Tasse konnte sie nicht halten. Da war keine Kraft.
    Frau Peters seufzte erneut. »Ach, was soll ich dir nur sagen? Ich weiß, dass dieser Verlust jetzt schmerzt   … Aber glaub mir, der Kummer ist bald vergessen. Es ist nicht so, als ob einer von euch beiden etwas falsch gemacht hat, es ist nur schlicht der Lauf der Dinge.«
    »   … Packung lesen müssen«, raunte Lea.
    »Was war das?«
    Sie räusperte sich. »Ich habe nicht gewusst, dass das passiert.«
    »Oh«, machte Frau Peters und nickte. »Das erklärt deine Überraschung.«
    Lea schloss die Augen und atmete. »Wie können Sie so sein?«
    »Wie denn?«
    »Wie können Sie so darüber reden, als ob er kein Mensch gewesen wäre? Sie sagen, Sie haben selbst mal einen gebacken   … Wie können Sie dann
so
sein?«
    »Du denkst, ich wäre unmenschlich?« Frau Peters hob eine Augenbraue, ehe sie aufstand. »Die Frage ist eher, wie du das Offensichtliche vergessen konntest? Wenn ich sage, dass diese Männer keine echten sind, ist das keine mangelnde Höflichkeit, sondern ein Fakt.«
    Sie holte ein Messer und stand plötzlich neben Noel. »Komm her, sieh es dir an!«
    »Was haben Sie vor? Legen Sie das Ding weg!« Lea sprang auf und stieß den Tee beiseite, doch da hatte die Bäckerin schon angesetzt und öffnete Noels Brust. Sie hielt inne, als Lea sie erreichte, und sah ihr tief in die Augen.
    »Er ist fort. Und es wäre besser für dich, das zu begreifen, bevor es zu spät ist. Hier, schau es dir genau an!« Mit dem Zeigefinger deutete Frau Peters in die offene Brust. »Er ist kein   … Oh mein Gott«, hauchte sie. »Das ist   … das ist nicht möglich!«

Kapitel 24
    »Was? Was ist dort?« Lea drängte sich, das Zittern im Hals herunterschluckend und die Gänsehaut ignorierend, an Noel heran.
    »Es sieht aus wie ein Herz«, fiepte Frau Peters, die Stimme so dünn wie eine Brise und ungläubig, als stünde der Tod selbst mit Pokerkarten vor ihr. »Wie ist das möglich?«
    Lea blinzelte, die Hände vor dem offenen Mund. »Das sind Kirschen.«
    »Die gab es bei David damals nicht   … Waren die Teil der Anleitung?«
    Nicht in der Lage zu sprechen, schüttelte Lea den Kopf. Ihre Knie waren so weich, dass sie sich am Tisch festhalten musste. Erneut japste die Bäckerin nach Lauft, fasste Lea an der Schulter und deutete auf das große Loch mit dem dunkelroten Klumpen in Noels Brust. »Siehst du die Bahnen, Mädchen?«
    Lea kniff die Augen zusammen und beugte sich noch weiter vor. Sie hatte recht: Um das Kirschherz herum war der Körper nicht nur aufgeplatzt, sondern es gingen winzige Tunnel von ihm ab. Wie Blutbahnen, nur ohne Inhalt. Hatte es Blut pumpen wollen, aber keins zur Verfügung gehabt? War dieses Herz denn schon von Anfang an dagewesen? Wenn sie einen Kirschkuchen backte, waren die Früchte ja normalerweise überall verteilt.
    »Sie sind gewandert.« Lea starrte auf die kleinen Röhrchen, ehe sie die anderen offenen Stellen absuchte und ähnliche dünne Rillen fand; in den Armen, den Beinen, sogar den Füßen.
    »Die Schmerzen«, flüsterte sie. »Deswegen hatte er sie, weil die Kirschen gewandert sind! Sie haben ein Herz geformt! Das muss es sein!«
    »Das ist einfach nicht möglich«, wiederholte Frau Peters, die sich hatte setzen müssen.
    »Doch! Ist es! Und wenn das möglich ist, dann können wir ihn auch zurückbringen! Es muss einfach gehen!« Sie beugte sich zu ihm herunter und sah ihn zärtlich an. »Und ich hab dir die ganze Zeit unterstellt, du wärst
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