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Dezembergeheimnis

Dezembergeheimnis

Titel: Dezembergeheimnis
Autoren: Caroline Richter
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wäre? Was, wenn es wirklich biologisch begründet war, dass ich keine Kinder haben sollte? Und dann war da plötzlich David   … Es war perfekt. Ich habe ihn geliebt. Und mich danach stark genug gefühlt, meine beiden Kinder aufzunehmen.« Einen Moment hing sie ihren eigenen Gedanken nach. Abschließend sagte sie: »Ohne David wären ich und mein Mann immer noch da, wo wir vor fünfzig Jahren gewesen sind.«
    Schweigend starrte Lea in den Ofen. Sie wusste nicht, warum es da überhaupt ein Fenster gab, man konnte durch das gedämpfte Licht ohnehin nichts außer Konturen erkennen.
    »Also hat ihr Mann doch Bescheid gewusst?«
    Wieder schüttelte Frau Peters den Kopf. »Er war damals an der Front. Als er zurückkam, war bloß meine Angst auf einmal weg. Aber dieses Geheimnis   … «, sie lächelte ein Mona-Lisa-Lächeln, »das habe ich für immer für mich behalten.«
    »Ein Kind   … «, murmelte Lea. Sie hätte nie gedacht, dass so etwas möglich wäre. »Haben Sie denn gar nicht getrauert? Er war immerhin ihr erster Sohn   … irgendwie.«
    »Doch, natürlich. Aber im Gegensatz zu dir war mir das Ablaufdatum bekannt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das ist schon so viele Jahre her   … Es fühlt sich an wie ein anderes Leben. Und wie ich schon gesagt habe: Wir müssen sie als das nehmen, was sie sind. Ein Geschenk, um uns etwas zu lehren.«
    War das wirklich der eigentliche Grund für Noel gewesen, in ihr Leben zu treten? Es ging gar nicht darum, ihren Wunsch zu erfüllen, sondern nur darum, dass sie innerlich wuchs?
    »Unsere Wünsche sind aber ganz verschieden gewesen«, stellte Lea fest. »Sie wollten ein Testobjekt haben, ich nicht.« Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Entschuldigen Sie bitte, ich habe nicht nachgedacht, ich hatte kein Recht   … Bitte verzeihen Sie.«
    »Schon gut.« Frau Peters seufzte, sagte aber nichts weiter, sondern setzte sich nur auf den Hocker und trank von den inzwischen erkalteten Tee.
    Lea wartete. Da wuchs wirklich ein Gefühl in ihr, wie die Bäckerin es vorhergesagt hatte, aber es hatte das Ende noch nicht erreicht. Also wartete sie. Und wartete. Frau Peters trank auch Leas Tasse aus und setzte neues Wasser auf, doch Lea verließ ihren Platz vor dem Ofen nicht.
    Die Kälte und Emotionslosigkeit kehrte in ihr Inneres zurück. Daneben gab es nur dieses wachsende Nagen. Vielleicht war es ihre Intuition, vielleicht ihre Verbindung zu Noel, vielleicht auch nur Hunger. Sie wusste es nicht, aber letztendlich war es alles, was sie im Moment hatte. Also vertraute sie darauf.
    Es kribbelte. Erst in den Füßen und Fingerspitzen, dann breitete es sich aus, bis ein Schauer durch ihren ganzen Körper wallte.
    »Es ist soweit«, verkündete sie, ganz ruhig. So schnell ihre kurzen mit Wasser gefüllten Beine sie tragen konnten, war Frau Peters an ihrer Seite.Zusammen öffneten sie die Klappe und hoben ihn auf die Arbeitsfläche.
    »Und?«
    »Ich weiß nicht   … «
    Sie sahen erst auf die reparierte Kuchenfigur, dann in das Gesicht des jeweils anderen und wieder zurück. Der Teig hatte sich perfekt zum Rest hinzugefügt und auch der schon bestehende Körper war – vielleicht durch den Saft? – nicht weiter ausgetrocknet. Natürlich waren die Umrisse durch die aufgeplatzten Furchen etwas breiter, aber vor allem das Gesicht war noch ziemlich gut zu erkennen. Nur immer noch nicht wirklich lebendig.
    »Vielleicht muss er nur noch aufwachen   … «
    »Mhm«, machte Frau Peters und traf damit das Gefühl des Nichtüberzeugtseins ziemlich genau auf den Punkt. »Vielleicht sollten wir ihn aufschneiden   … Wenn er wieder bricht, dann ist es vorbei.«
    »Hier wird niemand aufgeschnitten! Haben Sie schon mal einen Kuchenmann mit einem Herz wiederbelebt?«
    »Natürlich nicht, aber ich–«
    »Dann sparen Sie sich das! Diesen negativen Kram können weder er noch ich jetzt gebrauchen! Ich werde nicht aufhören, an ihn zu glauben, nur weil Sie meinen, es besser zu wissen!« Sie war erneut viel zu forsch und undankbar, das wusste sie, aber diese Frau schien eine Wünschelrute für das zu haben, was in Lea schlummerte und nur darauf wartete, unkontrolliert aus ihr herauszubrechen. Lea warf ihr einen flehenden Blick zu, ehe sie sich wieder Noel zuwandte.
    »Bitte, Noel«, flüsterte sie. »Komm zu mir zurück.«
    Keine Reaktion.
    »Wir haben doch noch so viel zu tun! Wir waren noch gar nicht Eislaufen oder im Kino, auf dem Flohmarkt   … Du hast noch keinen Sommer
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