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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug
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Oppenheim und Mainz gebildet wurde. Ein ausgeklügeltes Straßen- und Stadtbahnnetz bot ausgezeichnete Verbindungen zu allen umliegenden Großstädten, bis hinüber nach Wiesbaden.
    Vor dem Großen Konferenzsaal lag die sonnenüberflutete Terrasse, von der aus vor einer gigantischen Mikrofon- und Kamerabatterie die Eröffnungsansprachen gehalten wurden.
    Die Ansprache des Bundespräsidenten war von ernüchternder Bescheidenheit und Begrenzung. Sie legte sich sozusagen wie ein geistiger Nebel noch einmal über die in üppiger Euphorie schwelgende Hörergemeinde. Man solle, so etwa, inmitten der gigantischen Konzentration moderner und kostspieliger Elektronik und Repräsentanz nicht vergessen, daß dieses technische Wunderwerk nicht als Selbstzweck, sondern in erster Linie für den Menschen gedacht sei – für den reisenden Menschen, für den das Flugzeug heute ein genauso selbstverständliches Verkehrsmittel sei wie früher die Eisenbahn, noch früher die Postkutsche. Der Bundespräsident, mit einer sanften, effektlosen Stimme, die so gar nicht zu dem äußeren Eröffnungsaufwand passen wollte, scheute sich nicht, als Beispiel die hessische Landfrau anzuführen, die zum erstenmal in ihrem langen Leben nach Mallorca fliegen wolle und nun als winziges, hilfloses Menschlein diesem Betongiganten mit seinen hundertfachen Verirrungsmöglichkeiten gegenüberstehe. Ein Flughafen müsse das Gefühl von Vorvertrauen auf den kommenden Flug vermitteln. Er hatte auch keine Hemmung, hessisch babbelnd zu zitieren: »Ob gut, ob bös' der Morche / Wer fliecht, duht sich nit sorche .« Den Taufnamen Otto Lilienthal wollte er als eine Verpflichtung gegenüber dem Mann verstanden wissen, der noch eine unmittelbare Beziehung erstens zu seinem Produkt, das er erfunden, zweitens zu den Menschen gehabt habe, denen seine Erfindung gegolten habe.
    Hatten die Anwesenden schon bei dem Bezug ›kostspielig … Repräsentanz‹ die Stirn gerunzelt, so hatten einige heimlich, aber unmutig den Kopf geschüttelt, als die Rede auf das hessische Landweiblein kam. Man erwartete ein jährliches Aufkommen von 50 Millionen Passagieren, mußte man da gerade auf ein Spessartmütterlein verfallen?
    Das Lilienthal-Beispiel schließlich verstand ein Teil der oberen Behördenvertreter einfach nicht.
    Je tiefer die nachfolgenden Redner hierarchisch zugeordnet waren, um so größer wurden die Worte, um so höher schwangen sich die Zukunftsvisionen. Hatte der Bundesverkehrsminister es noch bei wenigen Gemeinplätzen – Vermächtnis für die nachfolgende Generation – bewenden lassen, so stauten sich bei den letzten, mit Zeitmangel kämpfenden Oberbürgermeistern die Phrasen und zukunftsträchtigen Vokabeln wie Treibholz, das den Fluß blockiert. Lediglich Brändel, der als zukünftiger Direktor als letzter das Wort erhielt, zeichnete sich zwangsweise durch prägnante Direktheit aus, die ganze zehn Sekunden dauerte. Ihm war die delikate Aufgabe zugefallen, die Verbindung zwischen seinen Abschlußworten und der startenden Eröffnungs-Boeing nicht abreißen zu lassen. Für den Fall einer Startverzögerung hatte er ein Achtseitenmanuskript anfertigen lassen, das er jederzeit abschließen konnte, ohne abrupt zu wirken. Als er den Mund für die Anrede öffnete, rollte der Jumbo an und zur Startbahn. So brachte er nur einen einzigen Satz heraus:
    »Ich bin stolz auf die Ehre, den größten Flughafen Deutschlands leiten zu dürfen, möge er zum Meilenstein im völkerumspannenden Luftverkehr werden!«
    Danach rollte im großen Saal das Festessen für die geladenen Gäste ab. Nach den Entres und der Haifischflossensuppe war man bei der Ente mit Weinkirschen angelangt, die mit Bratensatz, entkernten Schattenmorellen und Madeirawein serviert wurde. Getrunken wurde eine Pfälzer Beerenauslese des Sonnenjahrgangs 1971; für die Ehrentafel der allerhöchsten Regierungs- und Stadtvertreter stand, in beschränkten Mengen, ein Eiswein zur Verfügung, von dem jedoch kaum jemand Gebrauch machte, um nicht als snobistisch verschrien zu werden.
    Im Pressesaal, der mit einem kalten Buffet und einer umfangreichen Bar ausgestattet worden war (hob Alkohol nicht bekanntlich die gute Laune?), saßen mittlerweile die Reporter und faßten ihre ersten Berichte für die Abendausgaben ab. Wer wahllos die Notizen überflog oder die Bruchstücke der Tonbandaufzeichnungen aneinandergereiht hätte, wäre auf ein Konglomerat bedeutungsvollster Aussagen gestoßen:
    … Einleitung neuer Etappe …
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