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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug
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Alter‹. Hatte dieser erste Tag inmitten des sensationellsten technischen Gebildes Deutschlands nicht gezeigt, daß man mit den herkömmlichen Denkarten, Sozialgefügen, Reaktionen und Gewalt-gegen-Gewalt-Maßnahmen am Ende war?
    Während der Fahrer sich behutsam und im Schrittempo an den Riesen heranschob, fiel Thomas ein Zitat ein, das er in seiner Jugend als Motto eines Hemingway-Romans gelesen hatte: ›Kein Mensch ist eine Insel, völlig auf sich selbst gestellt.‹ John Donne! Wer von allen, die › Wem die Stunde schlägt‹ bewunderten, handelte wirklich danach? Jeder sah nur den beschränkten Ausschnitt seiner eigenen Interessen. Im sozialen Gefüge der abendländischen Gesellschaft gab es kein Teamwork, wie er es einen Tag lang erlebt und wie die Crew an Bord der › Steppenadler‹ es praktiziert hatte. Gewiß hatten die Terroristen triftige Gründe für ihren Terror gehabt. Wer interessierte sich für diese Gründe – wo erfuhr man drüber? Und durch Dollingers Verbindung zum Vorsitzenden der › Vereinigung Umweltschutz e.V.‹ wußte er von einigen Problemen, die die Lage des neuen Flughafens betrafen. Wußten die Piloten davon? Wußten die Naturschützer, ob oder daß die Piloten davon wußten? Wer eigentlich interessierte sich noch für die Meinung des Mitmenschen?
    Der Fahrer legte den Gang ein und schoß plötzlich los. Die ›Steppenadler‹ hatte ihre drei Triebwerke abgestellt. Als hauche sie ihren letzten Atem aus! Dabei war sie umlagert wie ein gestrandeter Wal von Küstenfischern! ›Moby Dick nach mißlungener Jagd‹!
    »Wie komme ich da unbehelligt ran?« fragte Thomas verzweifelt.
    Der Fahrer zuckte die Schultern. Sein Dienst hatte erst vor einer Stunde begonnen. Er wußte kaum, worum es ging; er war sozusagen Spezialist.
    Thomas warf ihm einen kurzen Blick zu und sprang dann einfach ab. An die drei linken Ausgänge war nicht heranzukommen. Er bückte sich unter dem Mittelfahrwerk hindurch auf die rechte Seite. Hier reckten sich die Be- und Entladungsvehikel wie gigantische Kasperlefiguren auf Sternscheren. Keine menschliche Seele an Steuerbord; hier herrschte bloße Mechanik!
    Er schwang sich auf einen der hinauffahrenden Gateringcontainer und stand an der hintersten rechten Beladungstür der DC-10, gegenüber der Galley.
    Die Kabine bot in ihrer Verlassenheit ein Bild des Chaos. Die Ausstrahlung von zweihundertundzwanzig Passagieren lag noch erstickend wie dickflüssiges Öl über den Sitzen. Die Gänge waren übersät mit Zeitungen, Servietten, geleerten Flaschen. Inmitten des rechten Durchgangs türmte sich ein Papier- und Plastikbecherberg wie auf einer Müllhalde. Zweihundertundzwanzig Passagiere waren auf engstem Raum mehr als zwölf Stunden Terror und Todesangst ausgesetzt gewesen!
    Er schob sich in die hintere Galley.
    Dann sah er sie.
    Sie stand über die Metallverkleidung der Bordküchentheke gebeugt, als müsse sie sich übergeben. Zwölf Stunden lang den Tod überwunden – und so endete alles! Sie rieb sich die Augen und versuchte sich zusammenzunehmen. Waren noch Passagiere in der Kabine? Sie blickte auf. Der Geruch des abgestandenen Biers, der ungeleerten Aschbecher, der verschütteten Whiskys und der überlaufenden Toiletten bereitete ihr Übelkeit. Aus der hinteren Toilette Nummer drei zog sich durch den unteren Türspalt ein dunkelbraunes Rinnsal weit in die Kabine hinein: Spuren der Angst und Panik, die keine Fernsehkamera aufnahm …
    Mehr als zwei Dutzend Hüte, Schals, Bücher, Dutyfreeplastiktüten waren vergessen worden! Sie begann mit dem Einsammeln …
    »Margot!« sagte er.
    »Tom!« flüsterte sie.
    Er griff ihre Hand; sie fühlte sich weich und kühl und nachgiebig an.
    »Komm!« sagte er. »Ich bringe dich hinaus!«
    »Hinaus aus allem?«
    Er drängte sie zum Steuerbordausgang hin. Auf der Backbordseite blitzten und klickten die Kameras.
    »Aus allem! Special VIP-Service!«
    »Bin ich wirklich wieder da?«
    »Du bist wirklich wieder da!«
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