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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug
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›Avitour‹: ein aus einer Vogelschwinge stilisierter Pfeil, mit der funkelnden Spitze leicht aufwärts geschrägt, auf einen satellitenartig vorbeischwebenden Erdglobus zielend …
    Niko war seit über zwölf Stunden auf den Beinen, die ganze hektische Nacht hindurch, in der die letzten, die allerletzten Vorbereitungen auf dem neuen Großflughafen getroffen worden waren. Viele Abteilungen, mit Riesenbergen an Akten, waren erst in der letzten Nacht umgezogen. Er würde die ›Steppenadler‹ mit Schwimmwesten, Notsender, Atemgeräten, gültigen Notrutschen, Feuerlöschern und überprüften Erste-Hilfe-Paketen ausrüsten, dann in seinen uralten VW klettern und durch den morgendlichen Verkehr nach Hause fahren – ins Westend Frankfurts, um dort herzhaft und ausgiebig sämtliche Eröffnungszeremonien bis in den tiefen Nachmittag hinein zu verschlafen: Abends begann sein Dienst wieder. Da kehrten, in Minutenintervallen, sieben Maschinen aus Nahost, Nordafrika, aus Schweden und dem Mittelmeerraum zurück, die in ihrer Notausrüstung überprüft werden mußten.
    Die D-Dur-Melodie Paul Kuhns war inzwischen in einen noch optimistischeren A-Dur-Chorus übergewechselt. Der Rundfunkreporter:
    »Es hat lange gedauert, ehe der alte, längst veraltete Rhein-Main-Hafen ersetzt werden konnte. Selbst, als die ersten Spatenstiche in den Boden bei Leeheim erfolgten, da glaubte noch niemand an die Zukunft. Maisfelder, Rübenäcker, Brachland am toten Rheinarm … Hier sollte sich das neue Jahrzehnt manifestieren?« Stille. Niko schlug wieder zu: Willst du wohl weiterreden, du Lump?»…  selber als Kind durch die Felder gestreift, nie geahnt, daß hier das neue Jahrhundert geboren werden würde, hier, südlich von Darmstadt, östlich der rheinischen Rebenhügel bei Nierstein.«
    Jetzt prügelte Niko regelrecht den Apparat, während er gleichzeitig eine Fliege beobachtete, die sich, unverschämt surrend, auf dem Streckenatlas der ›Avitour‹ niederließ, den er unter der Glasplatte seines Schreibtisches ausgebreitet hatte: im Mittelpunkt Deutschlands, durch dicke, rote ›Avitour‹-Streckenlinien mit den Zielorten verbunden.
    »In diesem historischen Augenblick«, fuhr der Rundfunksprecher fort, »an dem Zehntausende Deutsche einem Ereignis beiwohnen, gegen das die Hannoversche Messe, das Münchner Oktoberfest wie eine lokale Provinzveranstaltung erscheinen …« Stille. Niko gähnte. »Und jetzt: die feierliche Eröffnung unseres neuen großdeutschen … unseres deutschen Großflughafens durch …«
    Das Koffergerät, mit seinen Wackelkontakten, streikte jetzt endgültig und absolut. Niko beobachtete die Fliege, die über die Landkarte kroch. Als Grieche war ihm trotz seiner ausgezeichneten Deutschkenntnisse die historische Entgleisung des Reporters entgangen. Die Fliege hatte sich zunächst an den Außenbezirken Münchens niedergelassen, dann im Laufschritt die Alpen bei Bozen überquert und war mit einem entschlossenen Flugsprung an der Atlantikküste niedergegangen. Hier rannte sie aufgeregt zwischen Calais und dem Golf von Biskaya auf und ab, als scheue sie den Ozean, hinterließ an der Garonnemündung einige schwarze Punkte und hockte plötzlich, als wolle sie jeden Verdacht Lügen strafen, mitten im Nordatlantik, südlich der Bermudas.
    Inmitten der Koralleninseln waren Hamilton und seine Umgebung verstärkt hervorgehoben worden. Es war das neue Ziel der ›Avitour‹. Die Lagunen, Sandbänke und Korallenriffe hingen in den Meridianen und Breitengraden gefangen wie Muscheln und Polypen.
    Die Flügel der Fliege schimmerten glashell, mit leichtem Stich ins Milchblaue, wie eisgekühlter Arrak. Sie wagte sich bis Saint Davids Island vor und drückte ihren Saugkissenrüssel wie ein Petschaft auf die Bucht. Dann, unerwartet, flog sie auf, hoch über sämtliche Geographie hinaus in die Stratosphäre, landete auf dem Pappbecherrand von Nikos Coca-Cola und fiel formlos und ohne ersichtlichen Grund hinein. Kurzerhand schüttete der Grieche den Rest unter den Arbeitstisch. So endete schmählich ihr Bermuda-Flug. Niko erhob sich, trottete hinaus zur Werft und auf die bereitgestellte Maschine.
    Als habe das Kofferradio auf diese Gelegenheit gewartet, um sein Eigenleben demonstrieren zu können, erklang jetzt überlaut und störungsfrei die Stimme des Rundfunksprechers.
    »… und was wissen wir heute wirklich noch von jenem Luftfahrtpionier, der diesem Superflughafen den Namen gab: Otto Lilienthal? Zusammen mit seinem Bruder
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