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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug
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ein Löwe gekämpft – der schriftliche Vorgang dazu füllte einen Leitzordner.
    Schon während des Testbetriebs der Vortage war das ganze raffinierte Informationssystem zusammengebrochen. Kreide und Schwamm feierten fröhliche Auferstehung. Gundolf jedoch brachte kein befriedigendes Gefühl für den Sieg über seine Widersacher auf, die ihn einen unverbesserlichen Pessimisten, ewigen Nörgler und fortschrittsfeindlichen Aufwiegler gescholten hatten. Ihr blinder Optimismus war von keiner Sachkenntnis getrübt.
    Allermann, im Begriff, die Tür zu öffnen, stutzte. Er sah seinen Chef, mit dem ihn eine kollegiale Freundschaft verband, konsterniert an und zeigte auf ein graues unterarmlanges Etwas am Ende des Flures.
    »Sieh mal, Tom!«
    »Eine Wanderratte!« stellte Gundolf lakonisch fest. »Rattus norvegicus. Schwanz kürzer als Körper, im Gegensatz zur Hausratte.«
    Das riesige Tier huschte, nicht übermäßig eilig, hinter einen Wandaufbruch, in dem die unverputzten Röhren des Kanalisationssystems sichtbar wurden. Inmitten der chrom- und marmorglänzenden Eleganz des neuen Hochhausbaus wirkte das deplaziert wie ein Clochard auf einem Presseempfang.
    »Derartige Haustiere eignen sich vorzüglich zum Vertreiben später Partygäste von meinen Teppichen!« fuhr Gundolf fort. Seine Leidenschaft für Berberteppiche war in der Firma allgemein bekannt. Die Räume seines Bungalows am Westhang des Spessarts waren abwechslungsreich damit ausgelegt. Mit naturfarbenen, melierten Tönen in Rohweiß, Beige oder Grau paßten sie gut zu seinem modernen Einrichtungsstil. Da gab es bordeauxfarbene Chichaouas aus Marrakesch, farbenfreudige Marmouchas aus dem mittleren Atlas mit Rhomben, Kreuzen und Quadraten und leichte Ouzguits aus dem Hochatlas, von denen kleinere Exemplare an der Wand seines Arbeitszimmers hingen. »Die Ratte als Symbol der siebziger Jahre! Funkelnde Oberfläche, hochpolierter Fortschrittspopglanz – und darunter, an den Wurzeln nagend, die Wanderratten! Die ganze Scheißzivilisation unseres Abendlandes ist wie unser Herrentoilettenklo: außen lindgrünes Porzellan, aber innen ein Mordskrach!«
    Er öffnete die Tür, um wieder an seinen Arbeitsplatz in der neuen Großraumflugdienstzentrale zurückzukehren. Ein leichter Lackgeruch hing über den Pulten und Tischen.
    Wenige Sekunden später erhielt er Quandts erregten Anruf.

2
    Obwohl Quandt dreiundfünfzig war, fielen seine Haarsträhnen noch üppig über die Stirn. In seinem breitbackigen Gesicht wirkten die Augen winzig, außer wenn sie stechend einen vermeintlichen Gegner fixierten.
    Jetzt war der Augenblick gekommen, von dem er alptraumhaft phantasiert und gehofft hatte, er möge die Konkurrenz treffen. Er wählte Gundolfs Nummer.
    »Hier Gundolf, FDZ!«
    »Gundolf, ich versuche verzweifelt, Sie zu erreichen. Die Verbindung streikt.«
    »Hier streikt so einiges, fürchte ich.«
    »Ich habe einen seltsamen Anruf bekommen. Vielleicht ein Scherz, vielleicht eine Katastrophe. Irgend so ein saudummer Idiot hat mir eine Bombenwarnung an den Kopf geknallt.«
    »Wenn es ein Scherz ist, hätten Sie mich nicht angerufen!«
    »Richtig! Es klingelte auf der Außenleitung. Ist da der Flughafendirektor, sagte eine Stimme, rauh, ein bißchen primitiv. Ich bin nicht der Flughafendirektor, sage ich. Auch gut, sagt er. Ich sprech' aber doch mit dem Direktionszimmer. Also: Sie haben da eine Menge Flugzeuge auf dem Vorfeld rumstehn, Mann!« Quandt warf einen Blick auf seinen Zettel. Er hatte sich den Anruf wörtlich notiert. »In einer dieser Scheißkisten liegt 'ne Bombe, und die wird unter irgendeinem Scheißarsch hochgehen, Mann. Und das ist mir verdammt ernst, und Sie können verdammt nichts dran rumändern, garantiert! Wer spricht denn da, sage ich, aber er hatte schon aufgehängt.« Quandt trommelte nervös auf die Tischplatte; die Zigarre rollte aus dem Aschbecher. »Hören Sie noch, Gundolf?«
    »Ich überlege … Eigentlich wollte er also gar nicht Sie, sondern den Flughafendirektor sprechen – den Brändel?«
    »Offenbar! Der hockt unten beim Einweihungskult!«
    »Dann geht die Drohung ja nicht ausdrücklich gegen die ›Avitour‹!«
    »Sie sind mein bester Mann! Sie wälzen ganze Steinladungen von meinem Herzen! Ich würde Ihr Gehalt erhöhen, Gundolf …«
    »Man sollte die Sache trotzdem verdammt ernst nehmen!«
    »… wenn ich dazu ermächtigt wäre! Gundolf: Sie sind ein Mann der Praxis. Sie wiegen ein gutes Dutzend von diesen Sesselkackern auf, mit denen
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