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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug
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erinnert mich an eine Ölsardinenbüchse, die man mit dem Laserstrahl öffnen möchte, um in den Genuß des Duftes der großen weiten Welt zu gelangen. Nichts klappt; und was höchstens herauskommt, ist der altbekannte Olivenölgeruch!«
    Die beiden Männer waren auf dem Weg von der Herrentoilette zurück in ihren Büroraum, die Flugdienstzentrale des Rhein-Spessart-Flughafens. Die Entfernung betrug rund vierzig Meter, und ihre Bewältigung war sozusagen ein historischer Vorgang: Vor einer Stunde war der neue Großflughafen eröffnet und auf den Namen Otto Lilienthal getauft worden. Gundolf, Leiter der Flugdienstzentrale der ›Avitour‹, hatte, nach tagelangen Improvisationen in primitiven Barackenräumen, zum erstenmal die Verbindung zwischen dienstlichen und diesen dem Wohlbefinden des Menschen dienenden Räumen hergestellt. Seine Stimmung befand sich in krassem Gegensatz zu der offiziellen, die von vierzehn Fernsehkameras und Hunderten von Mikrofonen und Fotoapparaten konserviert worden war.
    Um 11 Uhr 10 hatte der Bundespräsident, unter dem Applaus seiner ihn flankierenden Regierungsvertreter, des Bundesverkehrsministers und des Innenministers für Hessen, Reinhold Passarge, den bereits im Testbetrieb befindlichen Flughafen für offiziell eröffnet erklärt und auf den Namen jenes Deutschen getauft, der in einem Atemzug mit den Gebrüdern Wright genannt werden müsse. Im Verlauf seiner bemerkenswerten kurzen Ansprache führte er aus, daß die Pläne, einen Ersatzhafen für den aus allen Nähten platzenden Rhein-Main-Flughafen Frankfurts zu schaffen, bereits über fünfzehn Jahre alt seien; und Passarge erinnerte sich unbehaglich daran, daß er zu jener Zeit noch gar nicht im Amt gewesen war. In seiner Rede, die der des hierarchisch vorgeordneten Bundesverkehrsministers folgte, wies er daher um so nachdrücklicher darauf hin, daß zwischen Planung und Ausführung ein Unterschied bestehe wie zwischen der mystischen Vogelflugsehnsucht des Altertums (ihm wollten keine Namen einfallen) und der praktischen Ausführung des Deutschen Otto Lilienthal.
    »Natürlich ist es großartig, auf einem Flughafen zu arbeiten, der den Erfordernissen der nächsten zwanzig Jahre entspricht!« sagte Gundolf; sie waren noch rund dreißig Schritte von der Tür zur FDZ entfernt. »Aber er funktioniert besser mit der bewährten Technik der endfünfziger Jahre als mit der utopischen Perversion des Jahres 2000!«
    Tom Gundolf war ein Mann von durchschnittlicher, unauffälliger Erscheinung, weder übermäßig schlank noch zu einem Ansatz von Fettleibigkeit tendierend, die Männer um die Vierzig so mühsam mit illusionären Heimturn- und Massagemethoden zu bekämpfen versuchen. Auf Partys fiel er weder durch geistige Brillanz noch durch demonstratives Schweigen auf. Eigentlich fiel er überhaupt nicht auf. Aber während unter seinem Vorgänger die Führung der Flugdienstzentrale einem Seiltanzakt geglichen hatte, der nur unter Aufwand höchster Führungsqualitäten aus dem Chaos in eine funktionsgerechte Organisation zu transponieren gewesen war, lief unter Gundolf alles scheinbar wie von selber – ohne energische, drohende Rundschreiben, Rücksprachen, Sonderbesprechungen, außerplanmäßige Eingaben an den Verwaltungsrat. Es funktionierte wie unter einer kosmischen Ordnung, als sei gar kein FDZ-Leiter vonnöten, um alle Mitarbeiter bei der Stange zu halten.
    Wich irgendwo auf der Erde ein Flugzeug wegen Schlechtwetter auf einen anderen Flughafen aus, so brachte eine solche Umleitung einen nicht enden wollenden Rattenschwanz von Problemen mit sich. Wichtigstes Hilfsmittel, jederzeit den Gesamtüberblick über alle Flugzeugbewegungen zu behalten, war eine Riesentafel, die eine gesamte Wandfläche des kontrollturmähnlichen Raumes einnahm. Auf ihr wurden die jeweiligen Positionen, die über Funk oder Telefon eingingen, eingetragen – Kennzeichen und Rufnummer des Flugzeugs, Name des Kapitäns, Passagierzahl, Uhrzeit, Position. Die Eintragungen wurden mit Kreide von einem der drei Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen vorgenommen. Im neuen Operationsgebäude sollte das alles elektronisch und über Fernseher geschaltet werden. Die anachronistisch anmutende Wandtafel mit Schwamm und Kreideschachtel war von den fortschrittlichen Architekten und Raumplanern gar nicht mehr eingeplant gewesen. Reif geworden im jahrelangen Umgang mit der Tücke moderner Technik hatte Gundolf auf die Mitnahme und den Einbau der alten Tafel bestanden und dafür wie
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