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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium
Autoren: Christin C. Mittler
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zweiten Mal küsste er mich. Es war ein langsamer Kuss, der mich vergessen ließ. Intensiv und sehnsüchtig. Ich konnte spüren, wie sehr er darauf gewartet hatte, dass er nichts anderes gewollt hatte.
    Und wie schon das letzte Mal überwältigte es mich. Ich schloss die Augen und schlang meine Arme um seinen Hals. Meine Lippen bewegten sich drängender auf seinen. Seine linke Hand wanderte meine Wirbelsäule entlang hoch in mein Haar, er drückte mich enger an sich.
    Ich erwiderte seinen Kuss, bis ich nach Luft schnappen musste.
    Aber nicht nur er sehnte sich nach mehr. Nicht wünschte, sondern sehnte!
    »Jaron.« In meinem Kopf drehte sich alles. »Jaron.«
    Verwundert sah er mich an, als ich mich seinen Berührungen entzog.
    Darragh hatte bewiesen, dass ich in der Lage war zu hassen. Jetzt gerade hasste ich diese Situation. Ich hasste, dass ich unbedingt hierher hatte kommen wollen. Hätte man mich im April vor diese Aufgabe gestellt, hätte ich ihm einen Zettel hinterlassen – wenn überhaupt.
    »Was ist los?«
    Es brauchte seine Zeit, bis ich antworten konnte. Eine Vorstellung nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Eine, in der Jaron, ich, ein bequemerer Ort und bestimmt kein Training, keine Recherche und besonders keine Lillian vorkamen.
    »Irgendetwas ist los. Würdest du mir bitte sagen, was es ist? Das macht einen wahnsinnig!«
    Ich biss mir auf die Lippe. »Nein, es ist nichts. Ich erleide gerade aus Spaß einen Nervenzusammenbruch. Wollte mal sehen, wie sich das so anfühlt, damit ich vorbereitet bin.«
    Er lachte leise: »Das ist schon eher mein Mädchen!«, dann wurde er wieder ernst. »Wenn es um Darragh geht und um das, was passiert ist, brauchst du di r darum keine Sorgen zu machen …«
    »Verdammt nein! Darum geht es nicht!« Mehr mich selbst als ihn fragte ich: »Wieso hat mich niemand vorher davor gewarnt?« Wieso hatte mich niemand davor gewarnt, dass ich mich verlieben könnte – in meine Sehnsucht?
    Jaron sah mich erwartungsvoll an. Wahrscheinlich hätte er weniger glücklich ausgesehen, wenn er gewusst hätte, was ich nun sagen würde.
    »Ich steige aus!« Drei Worte, die mich u ngemein viel Überwindung kosteten.
    Jaron erstarrte mitten in seiner Bewegung. »Was? Das soll wohl ein Scherz sein.« Sein Gesicht schien in sich zusammenfallen. »Sag das noch mal!«
    Kaum merklich ruckte ich mit dem Kopf. Ich zwang mich, mich an das zu erinnern, was ich für dieses Gespräch vorbereitet hatte. »Ich werde nicht mehr mit den Eing eweihten arbeiten. Das bedeutet, dass ich nur noch hierherkommen werde, wenn mein Körper es erforderlich macht. Das wird selten sein«, fügte ich hinzu.
    »Nein.« Jaron sah mich entgeistert an. »Warum?«
    Ich wusste, dass er mich berühren wollte. Ich wusste, dieses Mal würde es wehtun wie früher, weil ich nun Abstand zu ihm gewinnen wollte – körperlich und emotional.
    »Das hat verschiedene Gründe, das weißt du.«
    Jaron biss die Zähne zusammen. »Nein, das tue ich nicht. Ich will sie hören, jeden einzelnen Grund.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Haltung hatte etwas Trotziges an sich.
    Ich schuldete ihm diese Details.
    »Meine Mutter«, erwiderte ich. »Sie hat ohnehin schon Angst, mich zu verlieren. Und wenn sie erfährt, was passiert ist – und das wird sie irgendwann – wird es schlimm genug sein. Sie …«
    »Lüg mich nicht an!«, unterbrach er mich unwirsch. »Deine Mutter hat neuerdings ein Vetorecht?! Das ist lächerlich. Das klingt, als ginge es darum, wie lange du ausgehen darfst. Wir beide wissen, dass es …« Er sprach nicht weiter, aber sein Blick sprach für sich: Es geht um uns, das kannst du nicht ausblenden!
    »Sie hat verständlicherweise Angst, mich zu verlieren«, wiederholte ich. »Was denkst du, soll ich tun? Riskieren, dass sie möglicherweise einen erneuten Nervenzusammenbruch erleidet? Und es geht dabei nicht nur um sie. Meine Schwester leidet: Sie hat momentan nur mich und ich bin nicht gerade die Vorzeigeschwester. Ich will ihr nicht sagen müssen, dass unsere Mutter noch immer nicht entlassen werden kann – wegen mir.«
    »Was haben sie davon, wenn du riskierst, wahnsinnig zu werden, weil du deine Sehnsucht unterdrückst? Das wäre kein guter Deal.«
    »Ich würde sie nicht unterdrücken, zumindest nicht vollständig. Ich würde gelegentlich vorbeikommen, um die Kontrolle zu bewahren …«
    Er nahm den Blickkontakt wieder auf, ließ nicht zu, dass ich ihn abbrach. »Warum musst du dich dann von mir
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