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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium
Autoren: Christin C. Mittler
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starke Gefühle gesteuert werden? Ich hatte sie so wenig unter Kontrolle, dass ich eine halbe Stadt abgefackelt habe.«
    »Aber es ging um Jaron und um deine Familie. Da ist es doch nur no rmal, dass du reagierst. Du bist dort eben der etwas feurigere Typ.«
    Sind wir heute etwas fe urig?, hallten Jarons Worte durch meinen Kopf.
    »Ich darf so nicht reagieren. Ich soll fühlen, oh ja, alle h aben darauf gewartet, aber ich muss stets beherrscht sein. Meine Sehnsucht soll mich leiten, nicht mich kontrollieren. Was glaubst du, warum mir gefühlte 2000 Volt durch den Körper gejagt wurden, wenn Jaron und ich uns berührt haben? Ich darf mich nicht so für Jaron interessieren.«
    »Aber das ist nicht fair. Du bist zum Beispiel nicht an Überhitzung gestorben, als er dich geküsst hat – zumindest nicht aus diesem Grund. Ihr konntet euch kaum voneinander fernhalten. Leugne es nicht, mir hast du nichts vorgemacht! Ihr habt so viel zusammen gemacht, ihr habt Lillian als perfektes Team gerettet. Zeigt das nicht …?«
    » Es hat keinen Sinn! Deshalb gibt es für mich auch nur noch eine Lösung.«
    Abrupt entzog ich mich ihrer Berührung und erhob mich.
    Alice folgte mir. Dass sie dabei beinahe auf das Grab einer Dame trat, die an ihrem 90. Geburtstag gestorben war, ignorierte sie. »Wovon redest du?«
    »Die Eingeweihten unterstehen mir. Momentan bin ich die einzige Durands’, die ihnen noch etwas sagen kann. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen meine Cousine Vivianne nach Paris holen …«
    »Du willst sie zwingen, das Erbe anzutreten?! Dann bist du nicht besser als dein Großvater, als er dich terrorisierte.«
    Ich beschleunigte meine Schritte. »Vergleich mich ja nicht mit ihm! Ich zwinge sie nicht, sie ist Danielles Tochter. Irgendwann wird sie ohnehin diese starke Sehnsucht spüren. Lieber erfährt sie jetzt, was Sache ist. Ich hätte auch gerne vorher Bescheid gewusst.«
    Alice schnaubte. »Du redest wie er. Neulich warst du noch anderer Meinung. Du willst nur deine eigene Haut retten. Das kannst du nicht machen!«
    »Ich kann machen, was ich will«, fauchte ich . »Nach dem, was passiert ist, habe ich jedes Recht dazu. Die Eingeweihten haben, wenn auch widerwillig, einen Vertrag aufgesetzt, ich habe unterzeichnet. Ich bin raus! Es ist vorbei!« Der kalte Schauer, der mich beim letzten Satz durchzuckte, raubte mir den Atem. »Jetzt gibt es nur noch eine Sache, die ich tun muss.«
    »Und was wäre das? Lässt du dein Herz vereisen oder ist es dafür schon zu spät?« Unter anderen Umständen wäre ihr moralische r Protest beeindruckend gewesen.
    »Nein, aber nette Idee.« Vor dem Tor zum Friedhof drehte ich mich noch einmal zu ihr um. »Erinnerst du dich an das, was ich dir über die Kommunikation zwischen Auserwählten und ihren Sehnsüchten erzählt habe?«
    »Sobald auch nur eine halbe Verbindung existiert, kommst du in ihre Gedanken, du kannst sie beeinflussen und ihnen Aufträge geben.« Sie war ein wandelndes Lexikon geworden. »Aber was hat das mit deinem Plan zu tun?«
    » Lillian hat Jaron eine Nachricht von mir überbracht. Wir treffen uns gleich.«
    »Warum das? Zu Jaron hast du doch auch eine Verbindung.«
    »Meine Verbindung zu Jaron ist stärker, ich will sie nicht nutzen ...«
    » Weil du ihn bis zum Ende im Unwissenden lassen willst. Das ist beschissen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich beschütze ihn. Ich beschütze immer die, die mir etwas bedeuten.« Es fühlte sich nicht so an, als würde ich Jaron beschützen. Es war anders als die Male, wenn ich Noemie angelogen hatte, um sie zu beschützen.
    Alice öffnete den Mund, um noch einmal zu protestieren. Sie sah aus, als wolle sie mich schütteln. Sie tat es nic ht. Stattdessen blickte sie zu Boden: »Ich hoffe wirklich, du weißt, was du da tust.« Damit wandte sie sich ab und ging.
    Ob sie mein gemurmeltes »Danke« noch mitbekam, erfuhr ich nie.
     
    Wenige Stunden später, musste ich mir eingestehen, dass ich längst nicht so fest entschlossen war wie ich mich Alice gegenüber g egeben hatte. Als ich bei Sonnenuntergang die Welt der Sehnsüchte betrat, spielte ich mehr als einmal mit dem Gedanken, zurückzugehen und den Vertrag zu zerreißen.
    Während ich den vertrauten Weg vom Portal weg ging, bewies mir jeder Atemzug, wie wichtig es mir geworden war, hierhe rzukommen. Selbst nach den schrecklichen Ereignissen in der Stadt der Echos.
    Nur dieses eine Mal war etwas anders. Dieses eine Mal schien meine Sehnsucht nicht vollständig gestillt zu werden.
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