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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium
Autoren: Christin C. Mittler
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taub an.
    Zurück in meinem Zimmer hievte ich meinen Koffer vom Schrank und stopfte die nächstbeste Kleidung herein. Alice’ verwirrter Blick lag die ganze Zeit auf mir, aber schon bald stand sie auf, um mir zu helfen.
    Sie schien zu spüren, dass ich meine Gründe hatte.
    » Wenn du dich gestärkt genug fühlst, möchten die Eingeweihten mit dir reden.« Nun stand auch noch meine Großmutter in der Tür.
    Ich nickte und machte mich daran, meinen Nachttisch auszuräumen. Ausnahmsweise war es von Vorteil, dass ich nicht viele persönliche Gegenstände besaß.
    »Wozu packst du? Was hast du vor?« O ein neuer Lieblingsspruch!
    Ich hielt inne. Meine Muskeln, noch immer deutlich überanstrengt, spannten sich an. Ich schluckte. »Ich ziehe aus!«
    »Das wirst du nicht. Warum solltest du das tun?«
    »Warum?« Ich sah ihr direkt ins Gesicht. »Frag doch mal deinen Mann, warum es die beste Entscheidung für mich ist. Ich hätte schon viel früher verschwinden sollen.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Dein Großvater ist schwer krank, jeder macht sich Sorgen um ihn und um dich …«
    Mit einem freudlosen Lachen unterbrach ich sie. »sorgt sich um mich, Alice ebenfalls. Dass du und Monsieur Chevalier euch möglicherweise auch Gedanken um mich macht, bin ich ebenfalls bereit zu glauben. Aber mein sogenannter Großvater?«
    »Selbstverständlich …«
    »Ich hab es so satt. Jahrelang hab ich mir was vorlügen lassen, immer hab ich das getan, was ihr wolltet. ‚Hör auf, Deutsch zu reden, Cassim’, ‚Geh in die Kirche, Cassim’, ‚Werde offizielle Auserwählte, damit wir noch ausnutzen können, dass dich möglicherweise dasselbe Schicksal ereignet wie deine Tante’. Glaubst du, ich mache das alles mit, um mich letztendlich von der Sehnsucht meines, mich doch so liebenden Großvaters beinahe umbringen zu lassen?« Ich wurde laut.
    Bilder ! Zum wiederholten Mal tauchten sie vor meinem inneren Auge auf. Zu häufig, zu viele, zu heftig!
    »Du musst dich irren«, stotterte mamé , mit einer Hand am Türrahmen abgestützt. Sie bot ein armseliges Bild. Nichts schien mehr von der Frau übrig zu sein, die mir die Wahrheit überhaupt erst erzählt hatte.
    »Ich irre mich ganz sicher nicht. Darragh ist tot!« Ich habe ihn umgebracht! »Und wenn man Monsieur Chevalier Glauben schenken darf, ist dein Mann in exakt demselben Moment zusammengebrochen. Ich hab ihn gesehen, wie er mehr Sehnsucht verströmt als Luft im Raum ist. Es ist wie eine Blutung, die nicht gestoppt werden kann. Genau die Reaktion, die ich mir bei dem hinterbliebenen Verbundenen vorgestellt habe, wenn die Sehnsucht stirbt. Also ja, ich bin mir zu sicher, dass er damit zu tun hat. Und jetzt lass mich verdammt noch mal vorbei!«
    Ich stopfte die letzten Teile in meinen Koffer, als mir schlagartig bewusst wurde, dass ich noch nicht weg konnte. Ich musste noch mit den Eingeweihten reden. Nicht weil sie es wollten, sondern weil mir eine Idee gekommen war, die ich nur mit ihnen besprechen konnte. Und das so schnell wie möglich.
    Als ich fertig war, schob ich den Koffer zu Alice. »Kann ich den gleich bei dir abholen? Ich muss noch etwas erledigen.«
    Alice tat mir diesen Gefallen. Mitsamt meinem Koffer ging sie. Sie verließ das Haus just in dem Moment, als ich ein weiteres Mal durch die Eingangshalle marschierte, die erneuten schwarzen Pünktchen vor meinen Augen ignorierend.
    Wie schon am Vortag saßen die Eingeweihten im muffig riechenden Arbeitszimmer.
    Ich erlaubte mir eine kleine Verschnaufpause, in der ich die Tür hinter mir abschloss, damit mamé nicht hereinkam. Ich war noch lange nicht wieder vollständig fit, ich sollte bald in ein Bett zurückkehren, aber das hier ließ sich nicht aufschieben.
    »Meine Herren«, begann ich geschäftsmäßig. » Monsieur Chevaliers wird ihnen bereits mitgeteilt haben, dass ich fürs Erste die einzige Durands bin, an die sie sich wenden können. Ich hoffe, sie haben sich heute Morgen ihre Ohren gewaschen, denn Sie werden mir jetzt sehr genau zuhören müssen …«

Epilog : Sehnsucht
     
     
    Egal wo ich gewohnt , wie ich mich gefühlt hatte  – oder eben nicht gefühlt hatte – ich hatte immer einen Rückzugsort gehabt.
    In Deutschland war es mein Zimmer oder das Baumhaus, das mein Vater einst begonnen hatte zu bauen und nie beendet hatte, gewesen.
    Zu der Zeit, als wir in unserer Wohnung in Paris gelebt hatten, war ich häufiger auf dem Tour Montparnasse gewesen, auch wenn man mich des Öfteren weggeschickt
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