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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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marschierten auf, die feierlich und ordentlich und, nun ja, zeremoniell wirkten.
    Der rituelle letzte Gruß mit den Gewehren wurde entrichtet, die Fahne sorgfältig zusammengelegt, wirklich mit allen Schikanen – eine angemessene und wunderbare Schau für die Verstorbene. Sie war letztendlich eine der unseren gewesen, eine Frau, die mit den Auserwählten, mit der Elite gedient hatte. Oder sind das die Ledernacken? Egal, sie war Cop in Miami gewesen, und die Cops von Miami wissen, wie man eine Beerdigung für jemand aus den eigenen Reihen schmeißt. Sie haben so viel Übung.
    »O Deborah«, seufzte ich sehr leise, obwohl ich natürlich wusste, dass sie mich nicht hören konnte, aber es schien das Richtige zu sein, und ich wollte alles richtig machen.
    Ich wünschte fast, ich könnte mir ein oder zwei Tränen abringen und abwischen. Sie und ich hatten uns am Ende ziemlich nahe gestanden. Und es war ein schmutziger, unerfreulicher Tod gewesen, kein guter Abgang für einen Cop, von einem mörderischen Wahnsinnigen in Stücke gehackt zu werden. Die Rettung traf zu spät ein, als endlich jemand zu ihr durchkam, war es bereits vorbei. Aber dennoch hatte sie durch ihr Beispiel selbstlosen Muts gezeigt, wie ein Polizist leben und sterben sollte. Ich zitiere natürlich, aber das war in etwa der Kern. Wirklich richtig gutes Zeug, sehr rührend – wenn man in seinem Inneren etwas besitzt, das gerührt werden kann. Was ich nicht habe, aber ich erkenne es, wenn ich es höre, und das hier war der wahre Jakob. Gefangen von der stillen Tapferkeit der Beamten in ihren sauberen Uniformen und dem Klagen der Zivilisten konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich seufzte schwer. »O Deborah«, seufzte ich, ein wenig lauter diesmal, wirklich, ich konnte es beinah fühlen. »Liebe, liebe Deborah.«
    »Sei still, du Schwachkopf«, flüsterte sie und stieß mir ihren Ellbogen in die Rippen. In ihrer neuen Aufmachung sah sie wirklich reizend aus – endlich Sergeant, das Mindeste, was man nach ihren schweren Mühen, den Tamiami-Schlitzer zu identifizieren und beinah zu fassen, für sie tun konnte. Der Fahndungsbefehl war draußen, früher oder später würden sie meinen armen Bruder erwischen – wenn er nicht zuerst sie erwischte natürlich. Da ich erst vor kurzem so gewaltsam daran erinnert worden war, was Familie bedeutete, hoffte ich, dass er in Freiheit bleiben würde. Auch Deborah würde sich damit abfinden, nachdem sie nun ihre Beförderung akzeptiert hatte. Sie wollte mir ehrlich verzeihen und sie war von Harrys Weisheit bereits mehr als halb überzeugt. Schließlich waren auch wir eine Familie, und das hatte sich am Ende erwiesen, nicht wahr? Die Dinge sind, wie sie sind. Was sie eigentlich immer schon waren.
    Ich seufzte wieder. »Hör auf!«, zischte sie und wies mit dem Kopf zum hinteren Ende der Reihe steifer Miami-Cops. Ich sah zu der Stelle, die sie meinte; Sergeant Doakes starrte mich finster an. Er hatte den Blick nicht von mir gewandt, nicht ein einziges Mal während der gesamten Zeremonie, nicht einmal, als er seine Hand voll Erde auf Detective LaGuertas Sarg warf. Er war absolut überzeugt, dass die Dinge nicht so waren, wie sie schienen. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass er von nun an hinter mir her sein, hinter mir herjagen, an meinen Fußspuren schnüffeln, meine Spur zurückverfolgen und mich zur Strecke bringen würde wie der Bluthund, der er war. Er würde mich für das, was ich getan hatte, und für das, was ich ganz selbstverständlich wieder tun würde, zur Rechenschaft ziehen.
    Ich drückte die Hand meiner Schwester, und mit der anderen Hand berührte ich den kühlen, harten Streifen Glas in meiner Tasche, ein getrockneter Blutstropfen, der nicht mit Detective LaGuerta vergraben werden, sondern für immer auf meinem Regal weiterleben würde. Er tröstete mich, und Sergeant Doakes oder das, was er tat oder sagte, kümmerte mich nicht. Warum sollte es mich kümmern? Er hatte nicht mehr Kontrolle über das, was er war und tat, als jeder andere. Er würde hinter mir her sein; aber ehrlich gesagt, was blieb ihm denn übrig?
    Was kann einer von uns überhaupt tun? Hilflos, wie wir alle sind, im Griff unserer eigenen kleinen Stimmen, was können wir tun?
    Ich wünschte wirklich, ich hätte eine Träne vergießen können. Es war alles so schön. So schön wie der nächste Vollmond sein würde, wenn ich Sergeant Doakes besuchte. Und alles würde so weitergehen wie bisher, wie es immer gewesen war, im Schein des
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