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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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Messer.
    Ich hörte ein leises Geräusch, und ein warmer Luftzug wehte durch die Kälte des Containers. Ich wirbelte herum.
    LaGuerta stand im Eingang, eine eklige, kleine Pistole in der Hand.
    »Ich wusste, dass Sie es versuchen würden«, sagte sie.
    »Ich sollte Sie beide erschießen. Vielleicht alle drei.« Ihr Blick glitt zu Deborah und kehrte dann wieder zu mir zurück. »Ha«, machte sie mit einem Blick auf die Klinge in meiner Hand. »Das sollte Sergeant Doakes sehen. Er hatte Recht, was Sie betrifft.« Und sie richtete die Waffe auf mich, wenn auch nur eine halbe Sekunde lang.
    Lange genug. Brian war schnell, schneller, als ich für möglich gehalten hätte. Dennoch gelang es LaGuerta noch, einen Schuss abzufeuern. Brian schwankte ein wenig, als er die Klinge in ihre Mitte stieß. Einen Augenblick standen sie so da, und dann lagen beide reglos am Boden.
    Eine kleine Blutlache breitete sich aus, das vermischte Blut der beiden, Brian und LaGuerta. Sie war nicht tief und breitete sich nicht weit aus, aber ich wich fast panisch vor dem grauenhaften Zeug zurück. Ich machte nur zwei Schritte rückwärts und stieß gegen etwas, dessen gedämpfte Geräusche zu meiner Panik passten.
    Deborah. Ich riss ihr das Paketband vom Mund. »O Gott, tut das weh«, stöhnte sie. »Um Himmels willen, hol mich aus dieser Scheiße raus und hör auf, dich wie ein verdammter Irrer aufzuführen.«
    Ich sah auf Deborah hinunter. Rund um ihre Lippen hatte das Klebeband einen blutigen Rand hinterlassen, ein schauderhaftes Rot, das mich hinter meine Augen in die Vergangenheit zurücktrieb, in jenen Container zu Mami. Und sie lag einfach da – genau wie Mami. Genau wie beim letzten Mal, als die kühle Luft in jenem Container meine Nackenhaare sträubte und die dunklen Schatten um uns durcheinander redeten. Ganz genau wie beim letzten Mal, als sie auf dieselbe Weise dort lag, gefesselt, mit starrem Blick, wartend wie eine Art – »Gottverdammt«, fluchte sie. »Komm schon, Dexter. Komm zu dir.«
    Aber dieses Mal hatte ich ein Messer, und sie war hilflos, und ich konnte alles ändern, ich konnte …
    »Dexter?«, sagte Mami.
    Ich meine, Deborah. Natürlich habe ich das gemeint.
    Nicht Mami, die uns hier an derselben Stelle allein gelassen hatte, uns dort zurückgelassen hatte, wo alles begann und jetzt vielleicht endete, mit einem glühenden, absoluten Ich-muss-es-tun, das sich bereits auf sein großes, dunkles Pferd geschwungen hatte und unter dem wunderbaren Mond entlanggaloppierte, während tausend intime Stimmen flüsterten: Tu es – tu es jetzt – tu es und alles wird anders – so wie es sein sollte – wieder mit …
    »Mami?«, sagte jemand.
    »Dexter, komm schon«, sagte Mami, ich meine, Deborah. Aber das Messer regte sich. »Dexter, um Himmels willen, hör mit diesem Scheiß auf! Ich bin’s! Debbie!«
    Ich schüttelte den Kopf und natürlich war es Deborah, aber ich konnte das Messer nicht aufhalten. »Ich weiß, Deb, es tut mir wirklich Leid.« Das Messer kroch höher.
    Ich konnte nur zusehen, konnte es um nichts in der Welt aufhalten. Eine winzige Spinnwebe von Harry peitschte mich noch, forderte meine Aufmerksamkeit, dass ich zu mir kommen sollte, aber sie war so klein und schwach und das VERLANGEN war so groß, stark, stärker als jemals zuvor, denn das hier umschloss alles, Anfang und Ende, und es erhob mich und befreite mich von meinem Ich und spülte mich fort, den Tunnel entlang zwischen dem Jungen im Blut und der letzten Chance, alles wieder gutzumachen. Das hier würde alles ändern, würde es Mami heimzahlen, würde ihr zeigen, was sie getan hatte. Denn Mami hätte uns retten sollen, und dieses Mal musste es anders werden. Selbst Deb musste das einsehen.
    »Nimm das Messer runter, Dexter.« Mittlerweile klang ihre Stimme etwas gelassener, aber jene anderen Stimmen waren so viel lauter, dass ich sie kaum hören konnte. Ich versuchte, das Messer zu senken, wirklich, aber ich schaffte nur wenige Zentimeter.
    »Es tut mir Leid, Deb, ich kann nicht«, sagte ich, kämpfte darum, überhaupt zu sprechen, in dem mich umtosenden, anschwellenden Heulen des Sturms, der sich in fünfundzwanzig Jahren zusammengebraut hatte – jetzt, da mein Bruder und ich aufeinander getroffen waren wie zwei Kumulusnimbusspitzen in einer dunklen, verträumten Nacht …
    »Dexter«, sagte die böse Mami, die uns hier allein in dem grauenhaft kalten Blut sitzen lassen wollte, und die Stimme meines Bruders in mir zischte gemeinsam mit der meinen
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