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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder
Autoren: Jeff Lindsay
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antwortete ich. »Wer bist du? Und warum ist alles so …« Ich sprach nicht weiter, weil ich nicht wusste, was alles war.
    Er zog eine Grimasse, eine sehr Dexter-enttäuschte Grimasse. »Ach je. Und ich war so sicher, dass du es dir zusammengereimt hast.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht mal, wie ich hierher gekommen bin.«
    Er lächelte weich. »Sitzt heute Abend ein anderer am Steuer?« Und während sich mir die Nackenhaare sträubten, kicherte er ein wenig, ein mechanischer Klang, der der Erwähnung nicht wert war – außer dass die Echsenstimme in meinem Gehirn Ton für Ton genauso klang. »Und es ist nicht einmal Vollmond, nicht wahr?«
    »Aber auch kein Neumond«, sagte ich. Nicht besonders geistreich, aber ein Versuch, der unter diesen Umständen bedeutsam schien. Und mir wurde bewusst, dass mich die Erkenntnis halb betrunken machte, endlich jemanden gefunden zu haben, der es wusste. Er machte keine müßigen Bemerkungen, die zufällig ins Schwarze trafen. Es war auch seine Achillesferse. Er wusste Bescheid. Zum ersten Mal schaute ich über den Abgrund zwischen meinen Augen und denen eines anderen und konnte ohne jede Sorge sagen, er ist wie ich.
    Was immer ich auch war, er war es ebenfalls.
    »Aber ernsthaft«, sagte ich. »Wer bist du?«
    Sein Gesicht verzog sich zu einem Dexter-die-Cheshire-Katze-Lächeln, aber weil es so sehr dem meinen glich, konnte ich erkennen, dass kein echtes Glücksgefühl dahinterstand. »Was weißt du noch von früher?«, fragte er. Und das Echo dieser Frage prallte von den Wänden des Containers ab und zerschmetterte beinah meinen Verstand.

27
    W as weißt du noch von früher?, hatte Harry mich gefragt.
    Nichts, Dad.
    Außer …
    Bilder flirrten am Rande meines Verstands. Mentale Bilder – Träume? Erinnerungen? –, sehr deutliche Visionen, was immer sie auch waren. Und sie spielten hier – in diesem Raum? Nein, unmöglich. Dieser Container konnte noch nicht sehr lange hier stehen, und ich war gewiss noch nie darin gewesen. Aber die Enge des Raums, die kühle Luft, die von dem klopfenden Kompressor herüberwehte, die gedämpfte Beleuchtung – all das sang mir in einer Symphonie der Heimkehr entgegen. Natürlich war es nicht derselbe Container gewesen – aber die Bilder waren so deutlich, so ähnlich, so vollkommen fast-richtig, außer … Ich zwinkerte; ein Bild flatterte hinter meinen Augen.
    Ich schloss sie.
    Und das Innere eines anderen Containers tauchte auf. In diesem anderen Container gab es keine Kisten. Und auf der anderen Seite waren … Dinge. Drüben bei … Mami? Ich konnte ihr Gesicht dort sehen, sie versteckte sich irgendwie und spähte nur über den Rand der – Dinge –, nur ihr Gesicht war zu sehen, ihr ruhiges, regloses, unbewegliches Gesicht. Und zuerst wollte ich lachen, weil Mami sich so gut versteckt hatte. Ich konnte den Rest von ihr nicht sehen, nur ihr Gesicht. Sie musste ein Loch in den Fußboden gemacht haben. Sie versteckte sich bestimmt in dem Loch und spähte hinaus – aber warum antwortete sie mir nicht, jetzt, wo ich sie entdeckt hatte? Warum zwinkerte sie nicht mal? Und selbst als ich sie ganz laut rief, antwortete sie nicht, bewegte sich nicht, tat nichts außer mich anzuschauen. Und ohne Mami war ich allein.
    Aber nicht – nicht ganz allein. Ich drehte den Kopf, und die Erinnerung drehte sich mit. Ich war nicht allein.
    Jemand war bei mir. Zuerst war ich sehr verwirrt, weil ich es war – aber trotzdem ein anderer – aber es sah mir ähnlich – doch wir beide sahen aus wie … … aber was machten wir hier in diesem Container? Und warum bewegte Mami sich nicht? Sie sollte uns helfen. Wir saßen in einer tiefen Lache – Mami sollte sich bewegen, uns hier rausbringen, raus aus diesem, diesem …
    »Blut …?«, flüsterte ich.
    »Du erinnerst dich«, sagte er hinter mir. »Ich bin so glücklich.«
    Ich schlug die Augen auf. Mein Kopf hämmerte grauenhaft. Ich konnte fast sehen, wie sich das Bild jenes anderen Raums über diesen schob. Und in jenem anderen Raum saß der winzige Dexter genau dort. Ich konnte meine Füße auf den exakten Punkt stellen. Und der andere Mann stand neben mir, aber selbstverständlich war er nicht ich; er war ein anderer Jemand, ein Jemand, den ich so gut kannte wie mich selbst, ein Jemand namens …
    »… Biney …?«, fragte ich zögernd. Der Klang war derselbe, aber der Name schien nicht ganz zu stimmen.
    Er nickte zufrieden. »So hast du mich genannt. Du hattest damals Schwierigkeiten, Brian
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