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Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal
Autoren: Allan Folsom
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Leute verrückt zu machen, bevor du weißt, was überhaupt los ist.
    »Nein, schon gut. Ich bin nach New York unterwegs. Ich rufe ihn morgen früh an. Danke.«
    Harry wollte auflegen, zögerte jedoch und wählte nochmals Rom an. Er hörte wieder die digitalen Töne, eine kurze Pause und den jetzt schon vertrauten italienischen Wählton. Danny meldete sich noch immer nicht.

    13
    2
    Italien.
    Freitag, 3. Juli, 10.20 Uhr
    Pater Daniel Addison döste auf seinem Fensterplatz im rückwärtigen Teil des Touristenbusses und konzentrierte seine Wahrnehmungen bewußt auf das leise Heulen des Dieselmotors und das Summen der Reifen, während er auf der Autostrada nach Norden in Richtung Assisi unterwegs war.
    Er trug Zivilkleidung. Seine Priesterkleidung und einige Toilettenartikel waren in einer kleinen Reisetasche, die in dem Gepäckfach über seinem Sitz verstaut war, und er hatte seine Brille und seine Ausweispapiere in der Innentasche seiner Windjacke stecken, die er zu Jeans und einem Hemd mit kurzen Ärmeln trug. Pater Daniel war dreiunddreißig und sah wie ein Doktorand, wie ein gewöhnlicher, alleinreisender Tourist aus. Und so wollte er aussehen.
    Als in den Vatikan abgeordneter amerikanischer Geistlicher lebte er seit sieben Jahren in Rom und fuhr schon fast ebenso lange nach Assisi. Mehr als jeder andere Ort, an dem er je gewesen war, gab diese alte Stadt in den Hügeln Umbriens, der Geburtsort eines be-scheidenen Priesters, der ein Heiliger geworden war, Daniel ein Ge-fühl von Reinheit und Gnade, das ihn seine eigene spirituelle Reise besser begreifen ließ. Aber jetzt war diese Reise unterbrochen, sein Glaube beinahe zerstört. Verwirrung, Sorgen und Angst überlagerten alles. Halbwegs bei Vernunft zu bleiben, erforderte eine gewaltige psychologische Anstrengung. Trotzdem saß er jetzt in diesem Bus und fuhr hin. Aber ohne die geringste Vorstellung davon, was er tun oder sagen würde, wenn er dort ankam.
    Die etwa zwanzig Fahrgäste vor ihm unterhielten sich, lasen oder ruhten sich wie er aus, während sie die Kühle in dem klimatisierten Bus genossen. Draußen ließ die Sommerhitze die Luft über der Landschaft flirren, ließ die Feldfrüchte reifen, machte die Trauben süß und nagte unmerklich an den wenigen alten Wällen und Burgen, die es hier noch gab und die in der Ferne zu sehen waren.

    14
    Pater Daniel ließ sich treiben und dachte an Harry und die Nachricht, die er ihm in der Stunde kurz vor Tagesanbruch auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Er fragte sich, ob Harry seine Nachricht überhaupt schon abgehört hatte. Oder ob er sie zwar ge-hört hatte, aber verärgert gewesen war und absichtlich nicht zurückgerufen hatte. Das hatte er bewußt riskiert. Harry und er hatten seit ihrer Jugend kein gutes Verhältnis zueinander. Seit acht Jahren hatten sie nicht mehr miteinander telefoniert, sich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Und auch damals war das Wiedersehen nur kurz gewesen, als sie beide zum Begräbnis ihrer Mutter nach Maine zurückgekommen waren. Harry war damals sechsundzwanzig Jahre alt gewesen, Danny dreiundzwanzig. Also konnte man logischerweise annehmen, Harry habe seinen jüngeren Bruder schon längst abge-schrieben und schere sich den Teufel um ihn.
    Aber in diesem Augenblick hatte es keine Rolle gespielt, was Harry dachte oder was sie einander entfremdet hatte. Danny wollte nur Harrys Stimme hören, ihn irgendwie berühren und ihn um seine Hilfe bitten. Er hatte ihn aus Angst wie aus Liebe angerufen und weil er sonst keinen Menschen kannte, an den er sich hätte wenden können.
    Er war in einem Teufelskreis gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab und der nur noch grausiger und schrecklicher werden konnte.
    Deshalb war er sich über die durchaus bestehende Möglichkeit im klaren, daß er zu Tode kam, ohne noch einmal mit seinem Bruder gesprochen zu haben.
    Eine Bewegung im Mittelgang vor ihm riß ihn aus seinen trübseli-gen Gedanken. Ein Mann kam auf ihn zu. Er war Anfang Vierzig, bartlos und trug zu einer Khakihose ein leichtes Sportsakko. Dieser Mann war in Rom im letzten Augenblick zugestiegen, als der Bus schon abfahren wollte. Pater Daniel glaubte einen Augenblick lang, er werde an ihm vorbei und auf die Toilette im Heck des Busses gehen, aber der Mann blieb neben ihm stehen.
    »Sie sind Amerikaner, nicht wahr?« fragte er mit englischem Akzent.
    Pater Daniel sah an ihm vorbei nach vorn. Die anderen Fahrgäste verhielten sich wie zuvor; sie sahen nach draußen, redeten
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