Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
»Komm schon«, sagte sie vergnügt und zog ihn mit sich zu der Stelle, an der das, was er von oben herabgeworfen hatte, gelandet war. Gemeinsam beugten sie sich darüber.
    Obwohl Geist dem riesenhaften Halbhunnen nicht einmal bis zur Brust reichte, kam sie sich in seiner Gegenwart niemals klein vor. Sie mochte ihn gern, und natürlich war ihr nicht entgangen, dass er sie anhimmelte. Nachdem sie ihr ganzes Leben allein in den Wäldern verbracht hatte, war das eine sonderbare Erkenntnis. Manchmal, wenn sie ihm für etwas danken wollte, ließ sie eine bunte Blume aus ihrem Körper erblühen. Sie wusste, dass ihn das glücklich machte.
    »Das ist Moos!«, entfuhr es ihr erfreut, als sie das verschlungene Wirrwarr zu ihren Füßen betrachtete.
    Löwenzahn nickte. »Moos und ein paar andere widerliche Pflanzen.«
    Sie knuffte ihn mahnend gegen den Oberschenkel. »Magst du etwa kein Moos?«
    Selbst im ewigen Halblicht des Hohlen Berges konnte sie sehen, dass er rot wurde. Sie kicherte leise und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem nassen Knäuel zu. Mit beiden Händen hob sie es vom Boden und schnüffelte daran. »Riecht merkwürdig«, gab sie zu.
    »Das ist die Nässe«, meinte Löwenzahn. »Wahrscheinlich schimmelt das Zeug schon eine ganze Weile vor sich hin.«
    »Schimmel!«, stieß Geist wie einen Jubelschrei aus. »Pilze! Wunderbar! Glaubst du, es gibt hier noch mehr davon?«
    Ein Seufzer stieg aus Löwenzahns mächtigem Brustkorb empor. »Wird es wohl, bei der Feuchtigkeit.«
    »Aber ich habe in der ganzen Zeit noch keine einzige Pflanze hier im Berg gesehen, nicht die winzigste.«
    »Es muss doch irgendwo eine Art Sammelbecken oder Quelle für die Wasserversorgung geben«, sagte Löwenzahn. »Vielleicht gibt es dort noch mehr davon.«
    Geist richtete sich begeistert auf. »Aber ja doch!«, rief sie. »Wir müssen diesen Ort suchen, ja?«
    »Sicher«, meinte Löwenzahn ohne große Begeisterung. Seine Fell- und Lederkleidung war von der Arbeit am Aquädukt völlig durchnässt, und der Gedanke an noch mehr Wasser war ihm zuwider.
    »Schon gut«, meinte Geist verständnisvoll. Ihre Moosfinger streichelten hauchzart über seine narbige Wange, eine Bewegung, so schnell, dass er sie beinahe nicht bemerkt hätte. »Ich gehe allein.« Und im selben Augenblick hatte sie sich bereits herumgedreht und verschwand in der Dunkelheit unter dem nächsten Torbogen.
    »Geist!«, rief Löwenzahn ihr hinterher. »Warte auf mich!«
    »Geh ruhig allein nach oben«, rief sie aus dem benachbarten Höhlensaal. Dann hörte er nicht einmal mehr ihre tänzelnden Schritte.
    Löwenzahn stand allein in der riesigen Halle, wassertriefend und besorgt. Er fluchte, ganz leise nur, um das geisterhafte Echo nicht herauszufordern. Geist war so erfreut über die Aussicht, irgendwo in den öden Weiten des Hohlen Berges Pflanzen aufzuspüren, dass sie eine Weile brauchte, ehe ihr klar wurde, dass sie mit einem Mal ganz auf sich gestellt war.
    Sie selbst, Mütterchen und Löwenzahn hatten es sich zur Regel gemacht, niemals einzeln durch das untergegangene Zwergenreich zu streifen. Im Gegensatz zu Alberich, der sein ganzes Leben allein im Berg verbracht hatte, fiel es ihnen schwer, in den labyrinthischen Anlagen die Orientierung zu behalten. Sicher, es gab die schmalen Wasserrinnen im Boden, die einem anzeigten, in welcher Richtung der Weg nach oben oder unten führte, doch waren da ansonsten weder Pfeile noch andere Wegmarken, die es einem gestatteten, sich zurechtzufinden.
    Geist folgte auf der Suche nach einem Wasserbecken dem Verlauf des Aquädukts. Immer wieder verschwand die breite Rinne inmitten der Wände. Anders als für die schmalen, weitverzweigten Rinnsale am Boden hatte man für die Wasserleitung den schnellsten Weg nach unten geschaffen. Geist musste zahlreiche Umwege in Kauf nehmen, in der Hoffnung, das Aquädukt auf der anderen Seite der Mauern und Monumente wiederzufinden.
    Einmal kam sie an einen bodenlosen Abgrund. Von unten wehte ein eisiger, übelriechender Wind herauf. Die Böen schienen mit unsichtbaren Fingern nach ihren Gliedern zu tasten, als wollten sie sie hinab in die Tiefe zerren. Es gab weit und breit keine Brücke, allein das Aquädukt reichte von einer Felskante zur anderen. Es war auf eine einzelne Säule gestützt, die endlos hinab in die Tiefe abfiel, und bei genauem Hinsehen erkannte Geist, dass schmale Stufen rund um die Säule nach unten führten. Es gab viele solcher sinnloser Treppen und Stiegen im Hohlen Berg,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher