Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
PROLOG
Zweihundert Jahre früher
    Trommeln dröhnten in der Tiefe des Berges, dumpfe Paukenschläge in einem quälend langsamen Rhythmus. Waffengeklirr drang aus den unteren Ebenen herauf, Stahl auf Stahl, dazwischen das Schreien der Verwundeten und Sterbenden. Hornstöße hallten empor, gebrüllte Befehle, das Trampeln hunderter Stiefelpaare.
    Grimma, dritte Heerführerin der Zwerge vom Hohlen Berg, packte den fellumwickelten Schaft ihrer Axt mit beiden Händen; die schweißgetränkte Schafswolle quoll feucht zwischen ihren Fingern hervor. Grimma hetzte den Treppenschacht nach oben, über breite, flache Stufen, gefolgt von fünf Zwergenkriegern, dem Rest ihrer besten Einheit.
    Sie hasste es, der Schlacht den Rücken zu kehren. Sie fühlte sich dabei wie ein Feigling. Aber sie wusste auch, dass jemand die drei Nordlinge aufhalten musste, denen es gelungen war, sich einen Weg in die oberen Ebenen freizukämpfen. Bis zuletzt hatte sie an der Seite König Thorhâls gekämpft, doch die Schlacht ging dem Ende entgegen, und der Zwergenherrscher selbst hatte Grimma den Befehl gegeben, die Flüchtigen zu verfolgen.
    Die fünf Männer in Grimmas Gefolge waren eigentlich zu wenige, um sich den drei Nordlingen entgegenzustellen. Jeder Nordling konnte es mühelos mit zwei oder drei der besten Zwergenkämpfer aufnehmen. Grimma hatte den König nicht ohne ausreichenden Schutz zurücklassen wollen, und seit der Feind die königliche Leibgarde beim Gemetzel in der Großen Säulenhalle aufgerieben hatte, waren Grimmas Einheiten für das Leben Thorhâls verantwortlich. Daher hatte sie auf weitere Männer verzichtet und sich nur mit diesen fünf auf den Weg gemacht. Es war gewagt, aber nicht aussichtslos. Grimma selbst hatte einmal ganz allein zwei Nordlinge niedergemacht, ohne jede Unterstützung, und seither wusste sie, dass nicht jeder ihrer Feinde über gleich große Kraft und Fertigkeit im Kampf verfügte. Zudem war einer der Gejagten verwundet, das verriet die Spur aus Blutstropfen, die vor den Zwergen die Stufen hinaufführte.
    Einen Augenblick lang verstummte das Trommeln in der Ferne, nur um einige Atemzüge später wieder aufgenommen zu werden. Die Pause war lang genug gewesen, um Grimma mit wildem Triumph zu erfüllen. Erst ein einziges Mal seit Beginn der Kämpfe vor mehr als zwei Wochen war das Trommeln der Nordlinge aus dem Rhythmus geraten; damals hatte der Bolzen einer Zwergenarmbrust einen der feindlichen Häuptlinge niedergestreckt. Grimma hoffte, dass die neuerliche Unterbrechung einen ähnlichen Grund hatte. Ein weiterer Nordling-Führer war gefallen, und wenn die Berichte der Späher richtig waren, war dies der zweite und letzte gewesen.
    Mögen die Götter geben, dachte sie finster, dass die Schlacht bald zu Ende und der Angriff der Nordlinge abgewehrt ist – doch um welchen Preis? Die Verluste unter den Zwergen waren entsetzlich, viel höher als auf der Seite ihrer Feinde. Die Nordlinge, die den Hohlen Berg angegriffen hatten, waren kaum mehr als eine Bande gewesen, keinesfalls eine Armee, und doch hatten sie das halbe Zwergenheer vernichtet. Auch deshalb durfte keiner der Nordlinge überleben; sollte einer von ihnen in seine Heimat zurückkehren und eine neue, größere Truppe um sich scharen, so wäre das Schicksal der Zwerge vom Hohlen Berg besiegelt und damit der Untergang des letzten Zwergengeschlechts am Rhein.
    Grimma schaute zur Seite, als Egil, einer ihrer Krieger, neben ihr erschien. »Da sind sie!«, zischte er ihr atemlos zu und deutete nach vorne, den Treppenschacht hinauf. »Oben, am Ende der Stufen.«
    Eine Falle? Grimma blinzelte zum Ausgang des Treppentunnels. Hatten ihre Gedanken sie derart abgelenkt, dass sie die sicheren Anzeichen eines Hinterhalts übersehen hatte? Liebe Güte, sie wurde alt.
    Sie nickte Egil dankbar zu, blieb stehen und hob die Hand. Sogleich bildeten die fünf Krieger eine hufeisenförmige Formation um ihre Anführerin, die Augen wachsam nach außen gewandt, die Streitäxte fest in den schwieligen Händen.
    Grimma schaute zwischen den gepanzerten Schultern zweier Krieger hinauf zu dem hohen Torbogen, der den Übergang der Treppe in eine düstere Halle markierte. Die oberste Stufe lag noch gut zwanzig Schritte von ihnen entfernt. Sollten dort oben tatsächlich die drei Nordlinge lauern, so war deren List missglückt. Doch immer noch konnte Grimma unter dem Bogen nichts erkennen. Keine gehörnte Silhouette, keinen verräterischen Schatten. Und doch – wenn Egil behauptete,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher