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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg
Autoren: Kai Meyer
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Aquädukt zu bereinigen. Löwenzahn war gerne allein mit Geist, und manchmal hänselte Alberich ihn mit seiner Verliebtheit.
    Nachdem sie mit dem Abladen fertig waren, kümmerte sich Alberich um die Bezahlung, während Mütterchen zu Rohland ging und ihm die Mähne streichelte. »Bist ein braves Tier«, flüsterte sie ihm ins Ohr und dann noch etwas, das niemand außer ihr selbst und dem Pony verstand. Die Jahrzehnte, die sie an der Spitze ihrer Räuberschar in den Wäldern gehaust hatte, hatten sie viele Dinge gelehrt. Eines davon war, mit Tieren zu sprechen. Sie wusste, dass Rohland jedes ihrer Worte verstand. Zärtlich sprach sie ihm Mut zu, wünschte ihm Kraft für den Rückweg und versprach ihm daheim im Gasthof eine Belohnung. Dann ging sie zurück zu den anderen, drückte Obbo eine Münze für eine große Portion Hafer in die Hand und umarmte ihn zum Abschied.
    »Passt gut auf euch auf!«, rief der Wirt über die Schulter, als er den Karren durch den Tannenhain hangabwärts lenkte.
    »Und du auf dich!«
    Mütterchen und Alberich traten zurück in den Schatten des Tores, in die hohe, düstere Eingangshalle des Hohlen Berges. Alberich machte sich an einer Winde zu schaffen. Krachend schlossen sich die Torflügel, und das Echo hallte vielfach in den Abgründen der ausgestorbenen Zwergenstadt wider.
    Nachdem das Tageslicht ausgesperrt war, sah Mütterchen einen Moment lang nichts mehr als Schwärze. Das sonderbare Zwielicht im Hohlen Berg war so schwach, dass sie eine Weile brauchte, ehe sie sich von Neuem daran gewöhnte.
    Man mag es drehen und wenden, wie man will, dachte sie, aber dieser Berg ist nicht für uns Menschen geschaffen. Er will uns nicht in sich haben. Er wehrt sich gegen uns wie ein Körper, der eine Krankheit austreibt.
    Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wie lange es noch dauern mochte, bis das Fieber ausbrach.
    Löwenzahn stand auf einem Felssims oben in der Wand der Halle, viel zu schmal für seine riesigen Füße. Geist wartete am Boden auf ihn. Der Halbhunne hatte ihr den Rücken zugewandt und beugte sich über eine Steinrinne, die in einer Höhe von zwei Mannslängen an der Wand entlangführte, eines der Hauptaquädukte für die Wasserversorgung im Hohlen Berg. Seit Tagen war es durch irgendetwas verstopft.
    Auf dem weiten Hallenboden hatten sich große Pfützen gebildet. Geist suchte missmutig nach einem Fleck, an dem sie keine nassen Füße bekommen würde. Sie trug keine Schuhe, auch Kleidung war ihr fremd. Ihr zierlicher Körper war mit einem Pelz aus grünbraunem Moos bewachsen, der es ihr draußen in den Wäldern erlaubte, wie ein Chamäleon mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Hier aber, in den Tiefen dieser abscheulichen Zwergenstadt, hatte sie diese Fähigkeit verloren. Sie wusste, dass es der Stein war, der ihr derart zusetzte. Sie war ein Moosfräulein, ein Waldgeist, und sie litt unter dem Gewicht des Berges. Der kahle Fels machte sie unglücklich, manchmal gar krank, und ohne ihre gelegentlichen Ausflüge hinaus in die Wälder wäre sie in der nasskalten Dunkelheit zu Grunde gegangen. Auch die Magie des Drachen trug dazu bei, dass sie hier unten überleben konnte. Ein wenig von der Vorliebe des Lindwurms für tiefe Gebirgshöhlen war auf sie übergegangen, genug, um im Hohlen Berg existieren zu können.
    »Was ist es?«, rief sie zu Löwenzahn hinauf, der mit beiden Händen in der Rinne hantierte.
    »Es wird dir gefallen!«, rief er polternd. Die Wände warfen seine Stimme zurück, viel zu laut und zu häufig. Das unheimliche Echo der endlosen Hallen und Gänge machte Geist Angst. Sie vermisste das Singen der Vögel und das Rauschen der Baumkronen weit mehr, als sie hätte in Worte fassen können.
    »Wie meinst du das?« Sie rieb sich die Arme, aber auch dadurch wurde ihr nicht wärmer. Die Kälte, die sie spürte, kam von innen, aus ihrem Kopf, und das beunruhigte sie auch heute noch, nach zwei Jahren in diesem Felsenlabyrinth.
    Etwas flog von oben auf sie zu. Geist erschrak und machte einen Schritt zurück. Ein feuchtes Knäuel klatschte vor ihr auf den Boden. Löwenzahn lachte wie ein zu groß geratenes Kind, verlor darüber plötzlich seinen Halt und rutschte ab. Mit einem wilden Aufschrei stürzte er zu Boden und landete mit dem Hinterteil in einer Pfütze. Nun war es Geist, die in Gelächter ausbrach. Löwenzahn knurrte etwas, stand schwerfällig auf und rieb sich das Steißbein.
    Geist sprang flink auf ihn zu und streckte ihm ihre schmale, moosbedeckte Hand entgegen.
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