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Drachenbraut

Drachenbraut

Titel: Drachenbraut
Autoren: K Günak
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Kapitel 1
    Er lebte. Seine Chancen standen gut. Es war spät. Dr. Josefine Rosenberg schaute mit vor Müdigkeit brennenden Augen in das Überwachungszimmer der Intensivstation. Die Sonne war schon vor Stunden untergegangen. Aber die pure Freude über das gewonnene Leben wog die Erschöpfung des langen Arbeitstages auf.
    « Du hast Feierabend. » Alexanders Stimme hinter ihr klang gewollt streng. «Ich betrachte es als meine Pflicht, die Oberärztin daran zu erinnern, dass auch sie Freizeit braucht.»
    Sie drehte sich um und betrachtete ihren Kollegen und Freund. Er grinste, was ihm einen lausbübischen Ausdruck verlieh und kurz darüber hinwegtäuschte, dass auch er müde war. Er trat neben sie und legte seine Hand gegen die Scheibe.
    «Ich weiß nicht, wie du es machst, aber es ist wirklich eine Gabe.»
    Er wusste nicht, wie recht er damit hatte, und vermutlich würde er es auch nie erfahren. Sie warf einen letzten Blick auf den Patienten, der heute fast sein Leben verloren hätte.
    Als die größte Hektik abgeklungen war, hatte sie noch eine Weile neben seinem Bett gestanden. Eine Hand auf seiner Brust hatte sie der langsam wiedererwachenden Lebenskraft in seinem Körper nachgespürt, und so war auch an diesem Tag das Ende ihres Dienstes einfach an ihr vorbeigezogen, ohne dass sie es wahrgenommen hätte.
    Alexander blickte sie intensiv an, und ihr wurde bewusst, dass sie gedankenverloren direkt an ihm vorbeigesehen hatte.
    Sie räusperte sich. «Hoffen wir, dass es keine Komplikationen gibt.»
    Infektionen und Nachblutungen waren ihre ärgsten Feinde in der Unfallchirurgie. Sie wandte sich zum Gehen und knuffte Alexander einmal freundschaftlich gegen die Schulter. Ihm hatte sie diesen Job zu verdanken.
    «Bereust du es, zurückgekommen zu sein?»
    Sie blieb stehen und spürte seinen fragenden Blick auf sich ruhen. Während er nach der AiP-Zeit damit begonnen hatte, Karriere zu machen und sein Privatleben zu pflegen, war Josefine, rast- und ruhelos wie sie war, in den tiefsten Busch nach Afrika geflohen.
    «Nein. Wirklich nicht.»
    Ihre Stimme klang fest. Die Entscheidung zurückzukommen war richtig gewesen. Auch hier war es manchmal schwierig, aber es gab wenigstens Hoffnung. Die hatte sie auf dem schwarzen Kontinent an AIDS verloren, diese schreckliche Krankheit, die ganze Regionen ausrottete. Sie hatte den nahenden Tod zuverlässig gefühlt, ohne etwas tun zu können. Hier jedoch war es ihre Fähigkeit, die manchmal den schmalen Grad zwischen Leben und Tod in Richtung Leben verändern konnte.
    Auf dem Weg in den Umkleideraum der Station ließ sie ihre Schultern kreisen, um die Verspannung im Nacken etwas zu lockern. Ihr Blick wanderte über den grünen Linoleumboden des Krankenhausflures, während sie dachte, dass das Wort «Freizeit» so viel versprechend klang. So positiv und wärmend, wobei es für sie doch nur wieder bedeutete, sich allein mit einer Tiefkühlpizza vor den Fernseher zu hocken.
    In dem kleinen, kahlen Raum, in dem sie und ihre Kollegen ihre Kleidung wechselten, öffnete sie die Tür ihres Spindes. Beiläufig warf sie dem Foto, das in der Innenseite klebte, einen Blick zu. Sie hängte ihren Kittel an den ewig wackeligen Haken, um sich dann doch wieder, wie magisch angezogen, ihrem Lieblingsfoto zuzuwenden.
    Vierzig Menschen der unterschiedlichsten Nationen hielten ein Banner in die Höhe, auf dem stand: «Goodbye Jo!» Ein Abschiedsgruß ihrer Kollegen von «Ärzte ohne Grenzen».
    Für einen Moment hielt sie inne und spürte dem zarten Gefühl der Wehmut nach. Sie war immer noch nicht ganz in Hamburg angekommen. Zu groß war der Kontrast zwischen dem schwarzen Kontinent und der nordischen Metropole. Aber sie war auf dem besten Weg. Zumindest schaffte sie es die meiste Zeit, sich dies einzureden.
    Sie schlüpfte aus den Stationsschuhen in ihre Sneaker und suchte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel. Vergebens wühlte sie sich durch die Tiefen und fand den Schlüssel schließlich neben ihrem Handy auf der Ablage im Spind. Sie wollte gerade das Telefon in die Tasche schmeißen, als sie die drei Anrufe in Abwesenheit auf dem Display entdeckte. Ganz schön viel für jemanden, der das Handy eigentlich mehr als Wecker denn als Kommunikationsgerät nutzte.
    Neugierig drückte sie auf die Taste für die Kurzwahl zur Mailbox, während zwei Schwestern den Raum betraten. Sie lauschte der blechern klingenden Stimme, nickte den beiden grüßend zu und trat einen Schritt zur Seite, um ihnen Platz zu
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