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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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Welt verhauen von oben bis unten und weit und breit!... Und nun sollten wir Prügel kriegen? warum denn? wie denn? Hat sich denn die Welt auf den Kopf gestellt?«
    Er reckte sich noch höher und erhob seinen Arm wie eine Fahnenstange.
    »Sehen Sie mal! heute haben sie sich da hinten geschlagen, wir warten noch auf Meldung. Na schön! die Meldung will ich Ihnen nun mal erstatten!... wir haben die Preußen geschlagen, verhauen, daß sie Arme und Beine liegen ließen, daß man nur so die Fetzen zusammenfegen kann!«
    In dem Augenblick tönte durch die dunkle Luft ein langgezogener, schmerzerfüllter Schrei. War es die Klage eines Nachtvogels? War es die tränenschwere, weitherkommende Stimme eines Geheimnisses? Das ganze in Finsternis getauchte Lager schauerte zusammen; die in der Erwartung der Nachrichten, die gar nicht überkommen wollten, sich ausbreitende Angst erreichte Fieberhitze und griff immer mehr um sich. In der Ferne auf dem Hofe brannte die Kerze, die die unruhige Nachtarbeit des Stabes erhellte, immer höher, die gerade, unbewegliche Flamme einer Wachskerze.
    Aber es war zehn Uhr, und Gaude erhob sich von dem schwarzen Erdboden, auf dem er verschwunden war, und blies als erster das: »Feuer aus!« Andere Hörner antworteten und verhallten von Ort zu Ort in einem allmählich hinsterbenden Klange, wie schon vom Schlaf überwältigt. Und Weiß, der die späte Stunde ganz vergessen hatte, drückte Maurice zärtlich an die Brust: Hoffnung und guten Mut! Er wollte Henriette von ihrem Bruder einen Kuß geben undOhm Fouchard allerlei erzählen. Als er dann endlich aufbrach, sprang in fieberhafter Geschwindigkeit ein Gerücht auf. Der Marschall Mac Mahon hatte einen großen Sieg errungen: der Kronprinz von Preußen war mit fünfundzwanzigtausend Mann gefangen, die feindliche Heeresgruppe mit Verlust ihrer Geschütze und der Bagage zurückgeschlagen.
    Rochas konnte mit seiner Donnerstimme nur: »Teufel auch!« schreien. Dann lief er ganz glücklich hinter Weiß her, der sich beeilte, wieder nach Mülhausen hereinzukommen.
    »Mit Tritten vor den Hintern, Herr, mit Tritten vor den Hintern bis nach Berlin!«
    Eine Viertelstunde später meldete eine andere Depesche, die Heeresgruppe hatte Wörth aufgeben müssen und befände sich auf dem Rückzuge. Ach! was für eine Nacht! Rochas hatte sich gerade vor Müdigkeit zu Boden gedrückt in seinen Mantel gewickelt und schlief unbekümmert um jeden Schutz auf der Erde, wie schon so oft. Maurice und Jean waren ins Zelt geschlüpft, wo Loubet, Chouteau, Pache und Lapoulle sich schon drängten, den Kopf auf dem Tornister. Wenn sie die Beine anzogen, hielt das Zelt sechs Mann. Loubet hatte ihnen erst allen ihren Hunger erleichtert, indem er Lapoulle vorerzählte, es würde morgen bei der Verteilung Hühner geben; aber sie waren zu müde, sie schnarchten, und wenn die Preußen gekommen wären. Einen Augenblick hielt sich Jean regungslos gegen Maurice gepreßt; trotz seiner Müdigkeit wollte es mit dem Einschlafen nicht gehen, alles was der Herr ihm erzählt hatte ging ihm im Kopf herum, Deutschland in Waffen, nicht zu zählen, gefräßig; und er fühlte, daß sein Gefährte auch nicht schlief und an dieselben Sachen dachte. Da machte dieser eine ungeduldige,ausweichende Bewegung, und der andere begriff, daß er ihm zuwider war. Zwischen dem Bauern und dem Gelehrten bestand eine gefühlsmäßige Feindschaft, ein Widerwillen wie eine physische Krankheit wegen des Unterschiedes an Stand und Bildung. Dabei empfand der erstere dies mit Scham, im Grunde mit einer gewissen Traurigkeit und machte sich ganz klein in dem Bestreben, der feindlichen Mißachtung, die er auf der andern Seite ahnte, auszuweichen. Wenn die Nacht draußen auch ganz frisch war, im Zelt erstickte man unter dieser Anhäufung von Körpern derartig, daß Maurice außer sich vor Fieber mit einem wilden Satz heraussprang, um sich in einiger Entfernung hinzulegen. Der unglückliche Jean rollte sich in einem Alpdrücken, einem peinlichen Halbschlaf umher, in dem sich der Kummer, daß niemand ihn lieb hätte, mit der Ahnung eines ungeheuren Unglücks vermengte, das er in weiter Ferne auf dem Hintergrunde des Unbekannten heranjagen zu hören glaubte.
    Stunden mußten vergangen sein; das ganze schwarze unbewegliche Lager schien wie in einem Nichts aufgelöst unter dem Druck der riesigen, übelwollenden Nacht, die etwas Schreckliches, noch Unbekanntes barg. Plötzliches Auffahren kam aus diesem schattenhaften See,
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