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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
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unvermitteltes Schnarchen drang aus einem unsichtbaren Zelte. Dann wieder waren es Geräusche, die man kaum erkennen konnte, das Schnauben eines Pferdes, das Aufschlagen eines Säbels, das Enteilen eines verspäteten Herumtreibers; all diese ganz gewohnten Töne hörten sich wie etwas Drohendes an. Aber plötzlich fuhr nahe bei der Kantine eine mächtige Lohe in die Höhe. Die erste Zeltreihe wurde ganz hell, man unterschied die Reihen der zusammengestellten Gewehre, die glatten, blanken Läufe, auf denen rote Lichter wie Rinnsale frischenBlutes spielten; auch die düstern, aufrechten Gestalten der Posten wurden in dieser plötzlichen Feuersbrunst sichtbar. War das der Feind, den die Führer seit zwei Tagen ankündigten und den sie von Belfort bis Mülhausen gesucht hatten? Da erlosch die Flamme unter einem mächtigen Funkenregen. Es war nur der Haufen grünes Holz gewesen, den Lapoulle so lange getriezt hatte und der nun, nachdem er stundenlang geschwelt hatte, wie ein Strohfeuer emporflammte.
    Jean war in seinem Schrecken über die plötzliche Helligkeit Hals über Kopf aus dem Zelte gesprungen, und er mußte notwendig auf Maurice stoßen, der auf den Ellbogen gestützt sich die Sache ansah. Die Nacht schien dunkler wieder herabzusinken, und die beiden Männer blieben ein paar Schritte voneinander auf der Erde hingestreckt liegen. Vor sich hatten sie auf dem dunklen Hintergrunde nur das immer noch erhellte Fenster des Hofes, die einsame Kerze, die bei einem Toten zu wachen schien. Wie viel Uhr mochte es sein? zwei, drei vielleicht? Da hinten der Stab schlief sicher nicht. Sie hörten die Stimme des großmäuligen Generals Bourgain-Desfeuilles, der sich in seiner Wut über diese Nachtwache durch Grog und Zigarren aufrechtzuhalten suchte. Neue Telegramme kamen, die Lage schien sich zu verschlechtern, schattenhaft jagten Meldereiter dahin, plötzlich losschießend und verschwommen. Schritte ertönten, Flüche wie ein erstickter Todesschrei, gefolgt von schrecklichem Schweigen. Was nun? war das das Ende? ein eisiger Hauch lief über das von Schlaf und Angst förmlich vernichtete Lager hin.
    Da erkannten Maurice und Jean in einem schnell vorüberhuschenden langen, magern Schatten den Oberst von Vineuil. Er ging offenbar zusammen mit dem Stabsarzt Bouroche, einem Riesen mit einem Löwenkopfe. Die beidenwechselten unzusammenhängende, unvollständige, getuschelte Worte, wie man sie in bösen Träumen hört.
    »Sie kommt aus Basel ... Unsere erste Division vernichtet ... Zwölf Stunden Gefecht, die ganze Armee auf dem Rückzuge ...«
    Der Schatten des Obersten hielt an, rief einen andern Schatten an, der eilig herankam, leicht, fein und durchaus vorschriftsmäßig.
    »Sind Sie's, Beaudouin?«
    »Jawohl, Herr Oberst!«
    »Ach, lieber Freund, Mac Mahon bei Fröschweiler geschlagen, Frossard bei Spichern geschlagen, de Failly zwischen beiden festgenagelt, ohne Zweck ... Bei Fröschweiler ein Korps gegen eine ganze Armee, ein verlorener Haufe. Und alles verloren, in Unordnung, in Panik, Frankreich liegt offen da ...«
    Tränen erstickten seine Stimme, seine Worte verloren sich, die drei Schatten verschwanden im Dunkel wie ertrunken, zerschmolzen.
    In seinem ganzen innern Weisen zitternd, stand Maurice auf.
    »Mein Gott!« stammelte er.
    Weiter konnte er nicht, während Jean, das Herz zu Eis erstarrt, murmelte:
    »Oh! diese verfluchte Geschichte! ... Schließlich hatte der Herr da, Ihr Verwandter, doch recht mit seinem Gerede, daß die da stärker sind als wir.«
    Maurice war außer sich und hatte ihn erwürgen mögen. Die Preußen stärker als die Franzosen! Das brachte ja gerade seinen Stolz zum Bluten. Der Bauer fuhr aber schon kalt und hartnäckig fort:
    »Das macht aber nichts, sehen Sie. Wenn man auch maleinen Klaps kriegt, deshalb braucht man sich noch nicht zu ergeben ... Gerade dann muß man wiederhauen.«
    Aber vor ihnen hatte sich eine lange Figur erhoben. Sie erkannten Rochas, noch in seinen Mantel gewickelt, den die vorbeiirrenden Schritte, vielleicht auch der Hauch der Niederlage aus seinem harten Schlaf emporgeschreckt hatten. Er fragte wißbegierig.
    Als er mit Mühe und Not begriffen hatte, malte sich in seinen ausdruckslosen Kinderaugen ein gewaltiges Erstaunen. Mehr als zehnmal hintereinander wiederholte er:
    »Geschlagen! wieso geschlagen? warum geschlagen?«
    Jetzt graute im Osten der Tag in einem unklaren Licht von unendlicher Traurigkeit über den schlummernden Zelten, in deren einem man die erdfarbigen
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