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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Autoren: Ralf Schulte
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vorne und zurück, außerdem summte er dabei und lächelte. Ganz gleich, wo er sich gerade geistig befand, es schien ihm dort zu gefallen. Kein Wunder: Seine Kleidung bestand aus einem abgetragenen blauen Anzug, der früher teuer gewesen sein musste. Auf dem Kopf des Mannes wuchsen nur noch vereinzelte Haare. Wie kleine Inseln, die im Glatzenmeer herausragten und schiffbrüchigen Läusen ein neues Zuhause gaben.
Die meisten der Wartenden waren jedoch Frauen, fast alle um die sechzig. Viele trugen Uniformen, die sie als Teilzeitjobber auswiesen, die in der Mittagspause zum Rentenamt kamen: Fastfood-Verkäuferinnen, Schul-Aufsichten, Putzfrauen, Ordnungshüterinnen und viele andere. Sie waren das Rückgrat der Gesellschaft. Da ihre Rente nicht ausreichte, mussten sie einen Job anzunehmen – fast immer einen, der unterbezahlt war und den niemand wollte. So wurde die Wirtschaft mit billigen Arbeitskräften versorgt, die man zu diesen Preisen nicht einmal mehr in Indien oder China fand.
Clara und Maximilian reihten sich ein. Sofort richteten sich die großen Augen der Wartenden auf sie. Damit sie nicht angesprochen wurde, holte sie Maximilians Zustellungsbescheid heraus und tat so, als würde sie ihn lesen. Doch schon aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse, gelang ihr das kaum.
„Lesen Sie das nicht“, grummelte er. „Das verstehen Sie sowieso nicht.“
„Ich könnte es aber versuchen.“
„Wenn Sie ihre Zeit verschwenden möchten, bitte! An diesen Formularen sind schon andere gescheitert.“
Dann widmete Maximilian sich seinem Hund. Der kleine Dackel sprang empor, hüpfte zwischen seinen Beinen umher und leckte ihm die Finger ab.
„Ein Hund müsste man sein!“
„Ich will kein Hund sein!“, sagte Clara.
„Weil Sie nichts davon verstehen!“
„Wovon verstehe ich nichts?“
„Vom Hund sein! Sie sind viel zu unruhig und aufgedreht. Sie würden keinen guten Hund abgeben. Eher ein Hamster, oder so was.“
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Eine Beamtin rief „456 783 211“ und die alte Frau trottete ins Zimmer.
„So ein Quatsch. Ich wäre ein toller Hund.“
„Wenn Sie meinen!“
„Zum Hund-Sein braucht man gar nicht so viel. Man bekommt sein Fressen, wird ausgeführt und hinterlässt kleine Häufchen, die andere wegräumen.“
„Da sehen Sie’s: Sie haben nichts verstanden. Es geht um die Einstellung. Auch wenn Sie ein Hund wären, Sie wären kein Guter.“
„Können wir mit dem Hunde-Thema aufhören?“
„Sicher. Wenn Sie es nicht hören wollen. Ich kann auch schweigen. Ich bleibe hier einfach still und stumm stehen und warte. Ich bin ein nutzloser alter Mann, ich habe sowieso nichts Besseres zu tun.“
„Und gleich sind Sie ein nutzloser, toter alter Mann!“
„Natürlich – rohe Gewalt!“
Maximilian tätschelte seinen Hund und murmelte ihm was zu. Der Dackel sprang empor, rannte um seine Beine und leckte ihm die Finger ab. Maximilian musste die Beine heben, um sich von der Hundeleine zu befreien, die sich um ihn gewickelt hatte. Eine ganze Weile ging das so, bis die Tür sich öffnete.
„Nächster Bitte!“
Diesmal folgte der alte Mann mit dem teilnahmslosen Blick. Die Tür schloss sich hinter ihm und er verschwand im Licht.
„Gleich sind wir dran!“
„Dann sind Sie mich los! Zufrieden?“
„Was wollen Sie überhaupt? Ich habe doch gar keinen Platz für Sie. Wo wollen Sie schlafen?“
„Ich hätte auch auf der Couch geschlafen, wenn Sie mich höflich gefragt hätten.“
„Ich“, motzte Clara, „habe“, und holte tief Luft, „keinen Platz für Sie. Und ich will auch nicht, dass Sie bei mir wohnen. Warum verstehen Sie das nicht?“
„Es ist in Ordnung. Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Wenn Sie nicht wollen. Das ist ihr Leben. Das hier ist meins. Wir passen nicht zusammen. Allein schon der Altersunterschied. Ich könnte ihr Großvater sein. Hatten Sie einen Großvater?“
„Nein!“
„Das merkt man. Sie sind ungeduldig und verständnislos. Aber keine Angst, daran können wir arbeiten.“
„Sie reden die ganze Zeit so, als wollten Sie immer noch bei mir einziehen. Aber das sollten Sie vergessen. Haben Sie mich verstanden? Ganz egal, was die hier sagen: Sie ziehen nicht bei mir ein.“
Aber Maximilian zuckte nur mit den Schultern und deutete an, dass ihm alles egal sei. Dann öffnete sich die Tür.
„Der nächste bitte!“
Clara zögerte. Wo steckte der Mann, der vor ihr rein gegangen war?
„Der nächste! 213 223 566, bitte!“
Clara schaute ins Zimmer. Der andere Mann
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