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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Autoren: Ralf Schulte
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war fort, einfach verschwunden. Nur eine junge Frau, kaum älter als sie selbst, saß hinter ihrem Schreibtisch und sah sie an. Ein eigenartiger Geruch von süßem Parfüm und kaltem Raum schlug ihr entgegen. Clara betrat den Raum.
„Womit kann ich ihnen helfen?“, lächelte die Beamtin. „Lassen Sie mich raten, es geht um die Rente ihres Großvaters.“
Die Frau am Schreibtisch sah jung aus und doch irgendwie alt: schwarze Haare, dunkle Augen. Gelbe Zähne blitzten sie an – Haizähne.
„Er ist nicht mein Großvater.“
„Dann machen Sie das ehrenamtlich.“
Diese Zähne, diese verfluchten Zähne, sie starrte ständig drauf.
„Nein!“
Clara reichte ihr das zwanzigseitige Schriftstück. Die Beamtin nahm es zögerlich entgegen. Wie ein Schmutzlappen, den man, wenn überhaupt, am besten nur an den Rändern anpackte. Eigentlich beleidigend, denn kurz bevor Clara die Wohnung verlassen hatte, besprühte sie die ersten Seite mit Desinfektionsmittel.
„Dieser Mann stand heute vor meiner Tür und behauptete, dass er mir zugestellt worden sei.“
„Zuerst brauche ich Ihren Ausweis!“
Clara reichte ihn der Frau.
„Und wer ist er?“
„Bis zum 60. Lebensjahr war ich Maximilian Himmel, jetzt bin ich 14 95 13 11 44 – meine Sozialversicherungsnummer.“
Die Frau tippte den Namen ein, dann die Nummer. Sie wiederholte das Ganze ein-, zweimal.
„Da haben wir ihn. Maximilian Himmel. Hier steht, Sie sind tot!“
„Das erklärt so einiges. In letzter Zeit fühle ich mich immer so schlapp!“
„Vermutlich nur ein Buchungsfehler. Und wie kann ich ihnen helfen?“
Clara versuchte mit der größtmöglichen Ruhe, der Beamtin die ganze Geschichte zu erzählen. Sie erwähnte, dass sie Studentin sei, dass sie kein Geld und auch kein Platz besaß, um überhaupt jemanden bei sich aufzunehmen. Die Frau nahm noch ein Mal das Schreiben in die Hand und blätterte es durch. Seite für Seite, so schnell, als ob sie es scannen könnte. Das machte sie eine Weile, dann blätterte sie wieder zurück, wieder vor, wieder zurück.
„Das scheint alles seine Richtigkeit zu haben.“
„Aber wieso habe ich nichts davon gehört? Weder im Fernsehen noch im Radio haben die was gesagt, auch nicht im Internet – und informiert worden bin ich auch nicht.“
„Sie wissen ja: Ständig ändert sich etwas in der Politik. Meistens werden selbst wir als letzte darüber informiert. Dass jetzt Rentner zugeteilt würden, darüber habe ich auch noch nichts gehört.“
Die Beamtin nahm den Telefonhörer, wählte eine Nummer und bestellte einen Kollegen inklusive Ordner. Kaum zwei Sekunden später ging die Nebenzimmertür auf und ein vollbärtiger Beamter stapfte herein. Er sah aus wie ein Lehrer oder ein Sozialpädagoge – diese lustige Art, wie er sich bewegte und dabei wackelte.
„Hier sind die EU Anweisungen der letzten zwei Tage!“
Mit diesen Worten warf er den Ordner auf den Schreibtisch.
„Willst du auch die von letzter Woche?“
„Danke, das reicht!“
Er grinste einmal Clara und Maximilian an, dann trottete er ins Nebenzimmer. Die Beamtin nahm den Ordner und blätterte blitzschnell durch Hunderte von Seiten, wieder vor und wieder zurück.
„Sie müssen wissen“, sagte die Beamtin und hob den Zeigefinger, „wir bekommen jeden Tag einhundert neue Richtlinien und Gesetze aus Brüssel. Da kann es schon vorkommen, dass wir etwas übersehen. Vermutlich ist die Zuweisung aufgrund eines Gesetzes erfolgt, das in Brüssel verabschiedet wurde.“
„Und was soll ich jetzt machen?“
„Lassen Sie mich sehen“, mit diesen Worten las die Beamtin noch einmal die Zustellungspapiere. Ihr Finger strich über das Papier und zerknitterte es ein wenig. „Aha! Widerspruchsrecht. Den Paragraphen kenne ich noch gar nicht. Innerhalb von zwei Wochen. Das war letzten Monat. Da sind Sie wohl etwas zu spät. Der Zustellungsbescheid ist rechtsgültig.“
„Nein! Ich habe dieses Schreiben erst vor zwei Stunden zum ersten Mal gesehen. Und es ist mir egal, welche Paragraphen und sonst was da drauf stehen. Einer muss das doch ausgefüllt und veranlasst haben. Und der soll das auch rückgängig machen.“
„Gehen Sie doch einfach mal in den siebten Stock, Zimmer 703. Dort sitzt Frau Gerber. Vielleicht weiß sie mehr darüber.“
Clara packte den Zettel und stampfte kommentarlos aus dem Büro. Maximilian und sein Dackel folgten. Den Flur runter, rein in die Eingangshalle, warten auf den Aufzug, hoch in den siebten Stock und klopfen. Als niemand antwortete, versuchte sie
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