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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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schnell zu laufen? frage ich mich immer wieder. Bevor ich die wenigen Meter bis zu meiner Tür zurücklegen konnte, hatten sie mich eingeholt, und ich fuchtelte drohend mit meinem Schwert nach ihnen, als wäre ich Achilles persönlich. Einer von ihnen gab ein unflätiges Geräusch von sich und nahm es mir ab, und ein zweiter ergriff von hinten meine Arme.
    »Ich sagte, keine Zeugen«, sagte hinter mir eine Stimme in einer unartikulierten Aussprache. »Wir werden ihm die Kehle durchschneiden müssen, egal, wer es ist.«
    »Gute Idee!« johlte der Mann, der mir das Schwert abgenommen hatte. Er war ein großer Mensch mit Glatze, und ich erkannte seine Stimme wieder.
    »Das wäre ganz typisch für dich, Aristophanes, Sohn des Philippos«, sagte ich, »eine im Rausch angezettelte Rauferei als Vorwand für die Ermordung deines Hauptkonkurrenten zu benutzen.«
    »Ach, du meine Güte!« stöhnte Aristophanes. »Das bist doch nicht etwa wieder du, oder?« Er musterte mich von oben bis unten und gab dann eine Art Winseln von sich, wie ein Hund, der einen Leckerbissen haben will. »Meine Herren, was zuviel ist zuviel!« protestierte er, an seine Freunde gewandt. »Jedesmal, wenn ich in dieser Stadt ein bißchen Spaß haben will, taucht dieser Fiesling auf und steht mir im Weg. Wirklich, langsam ist das kein Witz mehr. Schafft ihn bitte fort, und schneidet ihm den Kopf ab!«
    »Wer ist das denn überhaupt?« wollte der Mann hinter mir wissen.
    »Ich heiße Eupolis«, klärte ich ihn auf. »Und als Dichter stehe ich unter dem direkten Schutz von Dionysos. Jeder, der mir die Haut auch nur anritzt, wird dazu verdammt werden, den Rest seines Lebens nichts als Wasser zu trinken.«
    Irgend jemand kicherte im Hintergrund, und bald brüllten alle vor Lachen, wie es Betrunkene tun – alle, bis auf Aristophanes, der seine Saufkumpane nach wie vor aufforderte, mich umzubringen. Das wäre doch solch ein furchtbarer Spaß, flehte er sie an. Man könne meinen Kopf abschneiden, ihn in einen Beutel stecken und dazu benutzen, Menschen in Stein zu verwandeln.
    »Wenn ich jetzt mein Schwert wiederhaben dürfte, werde ich euch eurer Arbeit überlassen, die, wie ich sehe, von erheblicher öffentlicher Bedeutung ist«, unterbrach ich ihn zuversichtlich.
    »Das stimmt allerdings«, bestätigte jemand mit nuschelnder Stimme. »Wir müssen die Flotte am Auslaufen hindern. Können diesen Alkidingsides doch nicht einfach in Sizilien rumstolzieren lassen, damit er den Städten den ganzen Käse wegfrißt. Sobald wir hier fertig sind, werden wir die ganze Flotte in Brand setzen.«
    »Welch großartige Idee! Dann kann niemand mehr in See stechen«, bekundete ich ihnen mein Wohlwollen und nahm mein Schwert aus den Händen des Mannes entgegen, der es mir zuvor abgenommen hatte und den ich nun ebenfalls wiedererkannte (genaugenommen kannte ich die meisten von ihnen, als ich sie jetzt so deutlich vor mir stehen sah – sie durften oder wollten allesamt nicht mit nach Sizilien fahren, was wahrscheinlich erklärte, warum sie eine Feier abgehalten hatten). Als ich mich, ohne mich noch einmal umzublicken, rasch auf den Nachhauseweg machte, verriet mir das Geräusch von zerbrechendem Marmor, daß die Männer ihre Arbeit wiederaufgenommen hatten. Ich schloß die Haustür hinter mir und legte den Riegel vor.
    »Na, wen hast du umgebracht?« begrüßte mich Phaidra. »Du bist ganz schön lange weggewesen.«
    »Draußen war niemand mehr, als ich nachgesehen habe«, log ich. »Hast du dir Sorgen gemacht?«
    »Nein, warum sollte ich?« erwiderte Phaidra. »Wen interessiert es schon, ob dir etwas zustößt?«
    Ich warf mein Schwert in eine Ecke. Meine kurze Konfrontation mit der Gefahr hatte der Tatsache, nicht nach Sizilien mitgehen zu dürfen, größtenteils den Stachel genommen, und mein Geschick, bei drohender Gefahr angemessen reagieren zu können, hinterließ bei mir eine fast ausgelassen fröhliche Stimmung.
    »Komm her und sag das noch mal«, neckte ich Phaidra.
     
    Am nächsten Tag war niemand fröhlicher Stimmung. Allerdings muß man auch verstehen, wie abergläubisch die Leute damals noch waren, schließlich war die Philosophie noch lange nicht so sehr in Mode wie heute, und wie furchtbar nervös alle waren, daß die Flotte auslief. Folglich herrschte allgemeines Entsetzen, als man nach dem Aufwachen feststellen mußte, daß jemand Götterstatuen zerschlagen hatte (offenbar hatten die angeheiterten Steinmetze mit den meisten Hermes-Statuen in der Stadt
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