Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeitsprung

Der Zeitsprung

Titel: Der Zeitsprung
Autoren: Inka Loreen Minden
Vom Netzwerk:
Naturwissenschaften gestürzt – ein weiteres Thema, bei dem er Vater tatsächlich nacheifern und stolz machen konnte. Er besuchte ein gewöhnliches College, aber alles, was er über Wissenschaft und die magische Welt wissen musste, lehrte ihm Vater.
    Plötzlich hörte David ein Fauchen. Er schlug die Augen auf und sah, wie der vermummte Mann neben ihm weggerissen wurde. Einem Schrei folgte ein knackendes Geräusch, als würde Holz brechen. Mutters schwerer Körper wurde von ihm heruntergerollt, er selbst war starr vor Schreck. Eine Gestalt in einem Mantel beugte sich über ihn. David erkannte wegen der Dunkelheit zuerst nur dessen Silhouette.
    »Hab keine Angst«, sagte der Mann mit tiefer Stimme, die einem Knurren glich. Sein Gesicht kam näher und David atmete auf. Es war kein Mann, sondern ein Junge, etwa in seinem Alter. Nur mit seinem Aussehen stimmte etwas nicht. Oder spielte ihm seine Panik einen Streich? David glaubte, geschlitzte Pupillen zu erkennen und eine mit Krallen bespickte Hand, die der Junge ihm hinhielt. Als er erneut sprach und David das Raubtiergebiss sah, schrie er.
    Die Bilder flackerten, der Traum neigte sich dem Ende zu. Zum Glück.

    David hasste diesen Albtraum, den er auch nach all den Jahren regelmäßig hatte. Er schrie immer noch und war froh über Grannys schlechtes Gehör. Sie wachte nicht mehr davon auf. Aber jemand war bei ihm und streichelte seinen Kopf. David hörte ein Wispern: »Hab keine Angst. Niemand wird dir je wieder etwas antun. Ich werde dich auf Ewig beschützen.«
    Die leise Stimme lullte ihn ein; er sank tiefer in den Dämmerzustand und erinnerte sich:
    Vor Angst war er fast ohnmächtig geworden. Das Wesen, das wie ein junger Mann ausgesehen hatte, mit verstrubbeltem Haar, kaum älter als er, packte ihn unter Knien und Armen. Es hob ihn hoch und drückte ihn gegen seine nackte Brust. War das vielleicht der Tod, der ihn holen kam? Lebte David womöglich nicht mehr?
    Er schaute hinunter zu seiner toten Mutter. Daneben lag der Vermummte, den Kopf seltsam verrenkt, und starrte ihn an. Es lag derselbe leere Ausdruck in seinen Augen wie bei Mutter. Das Tuch vor seinem Gesicht war nach unten gerutscht, aber David kannte den Mann nicht.
    Auch zu seinem Vater blickte er ein letztes Mal.
    Tot. Aus. Vorbei.
    Schreie waren zu hören, Pfiffe gellten durch die Nacht. Jemand hatte die Peelers alar miert.
    »Halte dich fest«, sagte das Wesen, worauf David automatisch die Arme um seinen Nacken legte. Er war warm und David spürte das Spiel der Muskeln unter der Haut.
    Mit einer Hand hielt die Kreatur ihn an ihren Leib gedrückt, die andere schlug sie in die Hausmauer.
    David presste die Lider aufeinander. Das Ungeheuer kletterte mit ihm die Wand hoch! In Windeseile erreichten sie das Dach. Die Kreatur breitete den Mantel aus und setzte mit ihm über zahlreiche Hausdächer. Schließlich sprang sie auf der anderen Seite eines Gebäudes in die Tiefe.
    Davids Schrei erstickte in seiner Kehle. Niemand konnte so einen Absturz überleben! Doch sie fielen nicht – sie schwebten zu Boden, in einen dunklen Park, der voller Bäume war. Das war kein Mantel, sondern Schwingen. Ein geflügeltes Wesen mit Klauen und Reißzähnen … Ein Dämon hatte ihn geholt. Er würde in der Hölle landen!
    David hatte das Bewusstsein verloren.
    Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er im Krankenhaus gelegen und Großmutter saß weinend neben seinem Bett. Eine Schwester hatte ihn vor dem Eingang entdeckt …

    David wollte nicht mehr richtig in den Schlaf finden. Immer noch fühlte er die Hand auf seinem Haar und blinzelte. Es brannte kein Licht. Granny würde nie im Dunkeln zu ihm kommen. Ihre Augen wa ren bereits gen auso schlecht wie ihr Gehör. Doch jemand war hier, bei ihm. David spürte die Anwesenheit fast körperlich, und damit meinte er nicht nur die zarten Berührungen.
    Es war hier! Das Ungeheuer!

    David schreckte hoch. Schwer atmend saß er im Bett und starrte ins Schwarz, wobei er nach dem Glücksbringer griff, den er um den Hals trug. Es war eine Silberkette mit einem lilafarbenen Kristall.
    Granny hatte schon wieder die Vorhänge zugezogen, obwohl sie wusste, dass er das nicht mochte. David hasste die Finsternis. Sie umgab sein Herz, seine Seele, sein ganzes Leben.
    Granny schob es auf den Mord an seinen Eltern, dass er ein seltsamer und stiller junger Mann geworden war. Ebenso, warum er Horrorgeschichten schrieb. Seine Großmutter glaubte, er würde dami t seine Vergangenheit verarbeiten.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher