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Der Zeitsprung

Der Zeitsprung

Titel: Der Zeitsprung
Autoren: Inka Loreen Minden
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Vielleicht hatte sie recht, aber David war Schriftsteller aus Leidenschaft. Schreiben bedeutete ihm alles. Es war seine Nahrung, seine Luft, sein Lebenselixier.
    Nach dem Tod seiner Eltern hatte es ihn zu sehr geschmerzt, Vaters Arbeiten weiterzuführen, und David hatte sich von den Naturwissenschaften weitgehend abgewandt. Zudem war niemand mehr bei ihm, mit dem er seine Ideen teilen konnte. Andere Gedanken hatten sich seiner bemächtigt – düstere, blutige – und seinen Kopf gefüllt, waren gewaltsam nach draußen gedrängt.
    Mittlerweile war er ein viel gelesener Londoner Autor, der mit seiner Passion den Lebensunterhalt bestreiten konnte. Allerdings zog er es vor, anonym zu bleiben, um dem Rummel um seine Person zu entgehen, und schrieb unter einem Pseudonym: David Blackwood.
    David s Vater hatte dank seiner Erfindungen ein kleines Stadthaus und wenige Ersparnisse gehabt, doch die waren bald aufgebraucht gewesen und David hatte begonnen, seine Ge schichten für ein paar Pennys an die Zeitung zu verkaufen. Ein Verleger hatte ihn dadurch entdeckt und seitdem verfasste er richtige Bücher.
    Viele Nächte verbrachte er damit, sich Gruselgeschichten auszudenken, u nd schlief lieber tagsüber. Wenn er sich sicher fühlte. A ußerdem hatte er oft die Vermutung, beobachtet zu werden. Wie gerade. Er bildete sich manchmal ein, ein Atmen zu hören und das Knarzen des Holzbodens, als ob jemand in s einem Schlafzimmer umherging.
    »Ich weiß, dass du hier bist«, fl üsterte er und seine Stimme klang erschreckend laut in der Dunkelheit.
    Natürlich bekam er keine Antw ort. Wie immer.
    Langsam beruhigte er sich. Oder er versuchte es zumi ndest. Unaufhörlich klopfte der Puls in seinen Ohren.
    David fuhr hastig mit dem Laken über seine nackte Brust, um den Schweiß abzuwischen. Der Sommer war ungewöhnlich heiß, in seinem Zimmer kühlte es kaum ab. Vielleicht sollte er ein Bad nehmen und danach an seinem Buch weiterschreiben. Schlaf würde er keinen mehr finden.
    Zitternd tastete er nach der Kerze auf dem Nachttisch und fluchte leise, weil er die Zündhölzer nicht fand. Wann wurde endlich eine brauchbare Glühlampe erfunden, die eine längere Brenndauer besaß? David würde sofort im ganzen Haus elektrisches Licht anschaffen – die Vorrichtungen dazu hatte er bereits angebracht –, um die Geister der Vergangenheit auf Knopfdruck verscheuchen zu können.
    »Luceo«, wisperte er und schnippte mit d en Fingern.
    Nichts geschah. Er war zu nervös zum Zaubern. Außerdem benutzte er zu selten Magie und war deshalb nicht in Übung. Seine Mutter war keine reinrassige Hexe. Sie kam aus einer Familie, in der ihr Zaubern strengstens untersagt worden war, obwohl ihre Fähigkeiten kaum vorhanden waren. Daher war auch Davids Begabung nicht stark ausgeprägt. Es war ohnehin besser, er hielt sich bedeckt.
    Ganz anders Granny. Sie hatte bis vorletztes Jahr regelmäßig Magie angewandt. Als vor zwei Jahren ihre Hexenküche – wie David ihren persönlichen Bereich liebevoll nannte – beinahe in Flammen aufgegangen wäre, hatte sie große Zauber weitgehend bleiben lassen.
    »Luceo«, flüsterte er erneut und schnippte. Ein winziger Funke blitzte auf – sonst geschah nichts.
    Keine Panik , sagte er sich und schwang die Füße über die Matratze. Er kannte den Weg zum Fenster, es brauchte nur drei Schritte. Doch er bildete sich ein, er könne jeden Moment gegen einen Dämon stoßen. Seinen Dämon.
    Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Atmete außer ihm selbst nicht noch jemand?
    Du hast eine blühende Fantasie, Junge , vernahm er Grannys Stimme in seinem Kopf, fasste all seinen Mut zusammen und eilte zum hohen Fenster, um die schweren Vorhänge aufzuziehen. Sofort drang das matte Licht der Gaslaternen in sein Schlafzimmer. Auf der Straße, zwei Stockwerke tiefer, wa r es still, keine Kutsche, kein Automobil waren zu sehen. Es musste nach Mitternacht sein. Erst dann kam London langsam zur Ruhe, aber bereits morgens um vier erwachte es wieder zum Leben. Je mehr d ie Industrialisierung und der Fortschritt vorankamen, desto mehr wurde die Nacht zum Tag. Wenn sich endlich Glühlampen durchsetzten, würde London überhaupt nicht mehr schlafen. Was David nur recht war. Schlaf bedeutete für ihn Albträume, Kummer, böse Erinnerungen.
    Als er ein Knarzen aus dem Flur vernahm, wirbelte er herum. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
    »Granny?«, wollte er rufen, doch lediglich ein Wispern verließ seinen Mund.
    Rasch zog er seine Hose vom
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